Das Ziel des Sozialismus kann
nicht die Vermenschlichung der Arbeit sein, genauso wenig wie
sein Ziel die Verbesserung der Löhne oder die Besserstellung
der Arbeiterklasse sein kann. Das alles sind nur Übergangsstufen,
Notbehelfe, Halbheiten. Eine moderne Fabrik stellt niemals eine
»normale« oder »humane« Umgebung für den Menschen dar, mag
die Arbeitszeit auch noch so herabgesetzt, mögen die Räume und
die Maschinen noch so sehr den Bedürfnissen des Menschen
angepasst werden. Der Prozess der Vermenschlichung des Menschen
wird erst vollendet sein, wenn die Arbeit abgestorben ist und
der schöpferischen Praxis Platz gemacht hat, die einzig darauf
ausgerichtet ist, universell entwickelte Menschen
hervorzubringen.
Lange Zeit wurde der homo
faber, der Werkzeuge produzierende Mensch, als der wirkliche Schöpfer
der Zivilisation und der menschlichen Kultur angesehen. Der holländische
Historiker Huizinga dagegen hat ohne Bedenken einen dieser
Tradition entgegengesetzten Weg eingeschlagen, als er im homo
ludens, im spielenden Menschen, den wahren Schöpfer der Kultur
sah.
Der Marxismus, der durch die
gesamte gegenwärtige Anthropologie und zum Großteil auch durch
die freudsche Psychologie eine glänzende Bestätigung erfahren
hat, erlaubt es, diese beiden Auffassungen, die zwei
grundlegende Aspekte der Menschheitsgeschichte widerspiegeln, zu
vereinen. Ursprünglich war der Mensch homo faber und homo
ludens zugleich. Der homo faber hat weder die nötigen
Hilfsquellen noch die Muße zum Spiel, zur freien Schöpfung und
zur spontanen, uneigennützigen Anwendung seiner Fähigkeit,
also zu dem, was gerade das Merkmal der menschlichen Praxis ist.
Der homo ludens dagegen wird immer mehr durch die
privilegierten, d.h. die besitzenden und die von diesen
unterhaltenden Klassen verkörpert. Aus eben diesem Grund wird
er zum Opfer einer besonderen Entfremdung. Sein Spiel verwandelt
sich immer mehr und mehr in ein trauriges Spiel und bleibt dies
selbst in den großen Jahrhunderten des gesellschaftlichen
Optimismus (bspw. dem 16. und dem 19.Jahrhundert). Vom Zwang der
Routinearbeit befreit und zurückgekehrt in den Schoß der
Gemeinschaft, wird der sozialistische Mensch wieder zum homo
faber und zum homo ludens zugleich. Er verwandelt sich zunehmend
in den homo ludens, doch ist er gleichzeitig auch homo faber.
Bereits heute bemüht man sich, in bestimmte Arbeiten ein Moment
des »Spiels«, ins Spiel aber ein Moment »ernsthafter Arbeit«
einzuführen. Die Abschaffung der Arbeit im traditionellen Sinn
des Wortes bedeutet gleichzeitig einen neuen Aufschwung der
wichtigsten Produktivkraft: der schöpferischen Kraft des
Menschen. Die materielle Uneigennützigkeit wird durch eine schöpferische
Spontaneität gekrönt, in der sich das Spiel des Kindes, der
Elan des Künstlers und das Heureka des Gelehrten vereinen.
Für die Bourgeoisie ist Besitz
gleichbedeutend mit Freiheit. In einer »atomistischen«
Gesellschaft von Warenbesitzern ist diese Definition auch
weitgehend richtig. Allein der (ausreichende) Besitz befreit die
Individuen von dem Zwang, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen,
um leben zu können, von der Verdammung zur Zwangsarbeit. Aus
diesem Grund setzen sich sowohl bürgerliche Philanthropen als
auch Demagogen für das Hirngespinst der »Entproletarisierung«
durch »Eigentumsstreuung« ein.
Vulgärmarxisten haben einen
berühmten, auch von Engels aufgegriffenen Satz Hegels,
demzufolge Freiheit »Einsicht in die Notwendigkeit« ist, aus
seinem Zusammenhang gerissen und in einem Sinne interpretiert,
dass der sozialistische Mensch genau den gleichen »ehernen ökonomischen
Gesetzmäßigkeiten« ausgesetzt sei wie der Mensch im
Kapitalismus — mit dem einzigen Unterschied, dass sich der
sozialistische Mensch dieser Gesetze bewusst sei und versuche,
sie »zu seinen Gunsten auszunützen«. Diese positivistische
Variante des Marxismus hat nichts gemein mit der wirklichen
humanistischen Tradition von Marx und Engels, mit der Kühnheit
ihrer Analyse und der Tiefe ihres in die Zukunft gerichteten
Blicks. Marx und Engels haben mehr als einmal wiederholt, dass
das Reich der Freiheit dort beginnt, wo das der Notwendigkeit
endet. Selbst in der sozialistischen Gesellschaft bleibt die
Fabrikarbeit eine traurige Notwendigkeit; die wirkliche Freiheit
entfaltet sich nur in den Mußestunden. In dem Maße, wie die
Arbeit im traditionellen Sinn des Wortes abstirbt, wird sie
durch eine schöpferische Praxis universell entwickelter und
gesellschaftlich integrierter Persönlichkeiten ersetzt. Je mehr
sich der Mensch von seinen Bedürfnissen befreit, indem er sie
befriedigt, desto mehr »weicht das Reich der Notwendigkeit dem
Reich der Freiheit«.
Die menschliche Freiheit ist
weder ein »freiwillig gutgeheißener« Zwang noch die Summe
instinktiver und schrankenloser Handlungen, die das Individuum
erniedrigen würden. Sie ist die Selbstverwirklichung des
Menschen, die nichts anderes darstellt als ein ewiges Werden und
Vergehen, eine fortwährende Bereicherung all dessen, was
menschlich ist, eine universelle Entwicklung aller menschlichen
Fähigkeiten und Anlagen. Sie ist weder die absolute Ruhe noch
das »vollkommene Glück«; sie ist vielmehr, nach Jahrtausenden
menschenunwürdiger Konflikte, der Beginn des wirklichen »menschlichen
Dramas«. Sie ist eine Hymne zum Ruhme des Menschen, gesungen
von Menschen, die sich ihrer Grenzen bewusst sind und aus diesem
Bewusstsein den Mut schöpfen, sie zu überwinden.
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