I
Die Geschichte
des Faschismus ist zugleich die Geschichte der Theorie über den
Faschismus. Für kein neues gesellschaftliches Phänomen der
modernen Zeit ist die Simultaneität von Erscheinung und Versuch
der Erkenntnis so frappant wie für den Faschismus.
Die Gründe
dieser Gleichzeitigkeit sind offensichtlich. Es handelt sich um
eine schlagartig auftretende, Neuerscheinung, die eine
langfristige historische Tendenz des »Fortschritts« jäh
umzuwerfen scheint. Aufmerksame Zeitgenossen sind umso
erschrockener, als die Brutalität der geschichtlichen Wende von
einer noch präziseren Brutalität der gegen einzelne
gerichteten Brachialgewalt begleitet wird. Historisches und
individuelles Schicksal werden plötzlich für Tausende - und später
für Millionen - identisch. Nicht nur die Niederlage von
Gesellschaftsklassen und der Untergang von politischen Parteien,
sondern die Existenz und das physische überleben von großen
Menschengruppen stehen plötzlich auf der Tagesordnung.
Es ist deshalb
verständlich, daß sich die Betroffenen über das sie treffende
Schicksal praktisch sofort um Selbstverständigung bemühten.
Aus den Flammen des ersten Volkshauses, das die faschistischen
Banden in Italien ansteckten, mußte unvermeidlich die Frage
aufleuchten: »Was ist dieser Faschismus?«. Vierzig Jahre lang,
bis in die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, hat diese
Frage die führenden Theoretiker sowohl der Arbeiterbewegung als
auch der bürgerlichen Intelligenz fasziniert. Obwohl der Druck
der Ereignisse und der »unbewältigten Vergangenheit«(1) in
den letzten Jahren etwas nachgelassen hat, bleibt die
Faschismustheorie weiterhin ein willkommenes Objekt der
Politologie und der politischen Soziologie(2).
Daß in den
immer wieder aufkommenden Versuchen zur Deutung der größten
Tragödie zeitgenössischer europäischer Geschichte oft nicht
viel Wissenschaft und umso mehr zweckbedingte Ideologie steckt,
dürfte wohl niemanden erstaunen, der sich der sozialen
Bedingtheit der sogenannten Geschichtswissenschaften bewußt
ist. Der wissenschaftliche Stoff wird ihnen ohne Zweifel von der
historischen und zeitgenössischen Realität selbst: geliefert.
Auch das Instrumentarium von Begriffen und Konzepten, womit
dieser Stoff geordnet und immer wieder neu geordnet werden soll,
wird größtenteils von jeder Generation von Soziologen und
Politologen vorgefunden und nur teilweise erneuert. Aber die Art
und Weise, in der diese analytischen Instrumente auf den Stoff
angewandt werden, und das Ergebnis zu dem sie führen, sind
keineswegs immanent vorbestimmt. Von Robert Michels' Konzept der
bürokratisierten Partei etwa oder von Mannheims Begriff der
freischwebenden Intelligenz aus läßt sich objektiv gesehen in
unzählige Richtungen vorstoßen. Wenn der Hauptvorstoß aber
nicht nach allen Seiten zugleich erfolgt, sondern nur nach einer
oder einigen wenigen, wenn dieser Vorstoß dann noch zusätzlich
bestimmte politische Vorstellungen untermauert, die die
Selbstsicherheit und Selbstzufriedenheit bestimmter
Gesellschaftsklassen bestärkt, dagegen die politische und
moralische Angriffsfläche, die sie den ihnen feindlich gegenüberstehenden
Gesellschaftsklassen bieten, bedeutend einschränkt - dann kann
wohl kaum bezweifelt werden, daß es sich hier um einen
funktionellen Prozeß handelt, d.h., daß die vorherrschende
Deutung einer bestimmten historischen Erscheinung eine ganz
konkrete Funktion in der fortlaufenden gesellschaftlichen
Auseinandersetzung zu erfüllen hat(3).
In demselben
Sinne scheint es uns offensichtlich, daß die Simultaneität von
Faschismus und Faschismustheorie kaum auf den
wissenschaftlich-kontemplativen Charakter dieser Theorie beschränkt
werden kann. Wenn sich Theoretiker mühen, das Wesen des
Faschismus zu erfassen, so nicht nur aus Liebe zur Soziologie
oder zur wissenschaftlichen Erkenntnis überhaupt, sondern auch
in der verständlichen und durchaus vernünftigen Annahme, man würde
den Faschismus umso erfolgreicher bekämpfen können, je präziser
man seine Natur erfaßt. Die parallele Entwicklung von
Faschismus und Faschismustheorie bedingt demnach eine notwendige
Inkongruenz. Der Faschismus konnte sich über zwei Jahrzehnte
nur darum erfolgreich entwickeln, weil seine wirkliche Natur
nicht richtig erfaßt wurde, weil es den gegen seinen Vormarsch
Kämpfenden an einer wissenschaftlichen Faschismustheorie
mangelte, weil die vorherrschende Faschismustheorie eine falsche
- oder unvollständige - war.
Wir sprechen
von einer notwendigen Inkongruenz, weil wir im zeitweiligen Sieg
des italienischen, deutschen und spanischen Faschismus nicht das
Ergebnis irgendwelcher, dem Eingriff praktisch handelnder
Menschen und Gesellschaftsklassen entrissener, blinder
Schicksalskräfte erblicken, sondern das Produkt genau meßbarer,
erfaßbarer und zu bewältigender Verschiebungen der ökonomischen,
politischen und ideologischen Beziehungen zwischen den
gesellschaftlichen Klassen des Spätkapitalismus. Und wenn man
von der Annahme ausgeht, daß dieser zeitweilige Sieg des
Faschismus nicht unvermeidlich und fatal war, dann muß man
schon annehmen, daß eine den wirklichen Erscheinungen
kongruente und sie durchleuchtende Theorie den Kampf gegen den
Faschismus entscheidend erleichtert hätte.
Die Geschichte
des Aufstiegs des Faschismus ist hiermit gleichzeitig die
Geschichte der Unzulänglichkeit der vorherrschenden
Faschismustheorie. Dies beinhaltet jedoch keineswegs, daß die
unzulängliche Faschismustheorie die einzige Faschismustheorie
war. Am Rande der organisierten politischen Kräfte und ihrer
Ideologien arbeitete die analytische Intelligenz mit einer Schärfe,
die heute nur Staunen und Bewunderung hervorrufen kann. Sie erfaßte
das neue Phänomen, erkannte zeitig die gewaltige Gefahr, warnte
die Zeitgenossen, zeigte den Weg zur Bewältigung des drohenden
Ungeheuers und erreichte auf theoretischem Gebiet alles, was auf
diesem Feld überhaupt erreicht werden kann. Die Theorie allein
kann die Geschichte nicht machen, dazu muß sie die Massen
ergreifen. Die bürokratischen Apparate, die die
Massenorganisationen der Arbeiterschaft beherrschten, konnten
mit Erfolg verhindern, daß eine adäquate Faschismustheorie und
eine wirksame Strategie und Taktik zum Kampf gegen den
Faschismus in die Massen eindrangen. Sie zahlten dafür später
selbst den Preis einer geschichtlichen Niederlage und oft der
physischen Vernichtung. Der Preis, den die Menschheit zahlte,
war ungleich höher. Auch die Zahl von 60 Millionen Toten des 2.
Weltkrieges bringt ihn nur unvollständig zum Ausdruck, denn die
objektiven Folgen vor allem des Sieges des deutschen Faschismus
im Jahre 1933 wirken bis heute auf vielen Gebieten weiter(4).
In der
Geschichte geschieht aber nichts vergeblich; keine historische
Leistung bleibt auf die Dauer ergebnislos. Wenn auch die
wissenschaftliche Faschismustheorie nicht genügend Masseneinfluß
gewann, um den Siegesmarsch der faschistischen Banden in den
dreißiger und anfangs der vierziger Jahre aufzuhalten, so wirkt
auch sie bis heute weiter, beleuchtet und erklärt neue
gesellschaftliche Nachkriegserscheinungen, bereitet neue Kämpfe
vor und vermeidet neue Niederlagen, wenn man sich ihre Lehren
aneignet. Es ist demnach kein Zufall, daß die Renaissance des
schöpferischen Marxismus in der Bundesrepublik vor allem im
Zuge der Massenradikalisierung der Studentenschaft - das
Interesse an der Faschismustheorie wieder stark belebt hat.
Darum ist es angebracht, daß der 1. Band der »Gesammelten
Werke« Leo Trotzkis den Schriften über den Faschismus gewidmet
ist. Denn unter jener kleinen Zahl von Theoretikern, die Wesen
und Funktion des Faschismus richtig erkannt haben, nimmt Trotzki
ohne Zweifel den ersten Platz ein.
II
Trotzkis
Faschismustheorie entstammt der Marxschen Methode der
Gesellschaftsanalyse und spiegelt die eindrucksvolle Übelegenheit
sowohl dieser Methode als auch der akkumulierten Ergebnisse
ihrer Anwendung - im Vergleich zu der Vielzahl von bürgerlichen
Geschichts- und Gesellschaftsinterpretationen - auf besonders
treffende Weise wider. Diese Überlegenheit liegt vor allem in
ihrem »totalen« Charakter, d. h. in dem doppelten Versuch,
alle Aspekte gesellschaftlicher Tätigkeit als miteinander
verbunden und einander strukturell zugeordnet zu erfassen und in
diesem sich fortdauernd wandelnden Komplex von Beziehungen jene
zu isolieren, die für den Gesamtkomplex als bestimmend gelten können,
d.h.: jene Wandlungen, die der bestehenden Struktur integrierbar
sind, von jenen, die nur durch gewaltsame Sprengung der
bestehenden Gesellschaftsstruktur erreicht werden können, zu
trennen.
So ist es
auffallend, wie hilflos die meisten bürgerlichen
Wissenschaftler an das Problem »Primat der Politik oder Primat
der Ökonomie«, das in den Debatten über die Faschismustheorie
eine wichtige Rolle spielt, herangehen (5). In mühseliger
Kleinarbeit versuchen sie, diese oder jene Handlung des
Hitlerregimes zu deuten - nutzte sie dem Großkapital?, lief sie
den schriftlich dokumentierten Wünschen der Unternehmer
zuwider? - anstatt sich die Frage zu stellen, ob die immanenten
Entwicklungsgesetze der kapitalistischen Produktionsweise durch
dieses Regime verwirklicht oder verneint wurden. Die
artikulierte Mehrheit der amerikanischen Großbürger schrie
Zeter und Mordio über Roosevelts »New Deal«; sogar Trumans »Fair
Deal« wurde mit nicht wenig Geschrei über »schleichenden
Sozialismus« beantwortet. Aber kein objektiver Beobachter der
Entwicklung der amerikanischen Wirtschaft und Gesellschaft der
letzten 35 Jahre könnte heute bestreiten, daß sich in dieser
Epoche die Akkumulation des Kapitals erweitert und nicht
eingeschränkt hat; daß die amerikanischen Großkonzerne
unvergleichbar reicher und mächtiger geworden sind, als sie in
den zwanziger Jahren waren; daß die Bereitschaft anderer
Gesellschaftsklassen - hauptsächlich der
Industriearbeiterschaft - die Herrschaft dieser Konzerne
unmittelbar politisch und gesellschaftlich in Frage zu stellen,
geringer geworden ist, als sie während und sofort nach der großen
Wirtschaftskrise war. Die Schlußfolgerung drängt sich demnach
auf, daß Roosevelt und Truman nicht ohne Erfolg die
Klassenherrschaft des amerikanischen Besitzbürgertums
konsolidiert haben. Sie unter solchen Bedingungen als »antikapitalistische
Staatsmänner« darzustellen, bringt demnach die Bilanz ihres
Wirkens keineswegs zum Ausdruck und entspricht nur der Unfähigkeit,
Parteien und Regierungen nach dem zu beurteilen, was sie
wirklich tun, statt nach dem, was sie selbst über sich -
oder andere über sie - sagen.
Eine ähnliche
Methode muß bei der globalen Beurteilung des Faschismus
angewandt werden. Es ist unwesentlich, zu bestimmen, ob Krupp
oder Thyssen Hitler mit Begeisterung, mit Zurückhaltung oder
mit Widerwillen an diesem oder jenem Punkt seiner Herrschaft
begegneten. Es ist dagegen wesentlich, festzustellen, ob die
Hitlerdiktatur die gesellschaftlichen Institutionen des
Privateigentums an Produktionsmitteln und der Unterordnung der
zum Verkauf ihrer Arbeitskraft gezwungenen Werktätigen unter
die Herrschaft des Kapitals aufrechterhalten oder zerstört,
konsolidiert oder unterminiert hat. Die historische Bilanz
scheint uns in dieser Beziehung eindeutig. Wir werden im
weiteren noch darauf zurückkommen.
Ebenso hilflos
erscheint die Methode, irgendwelche Perioden der
Hitlerherrschaft scharf voneinander zu trennen und z.B. mit dem
Konzept des »partiellen Faschismus« zu operieren, der im
Gegensatz zum »totalen Faschismus« durch eine bedeutsame Sphäre
direkter Machtausübung des Großkapitals gekennzeichnet sein
soll(6).
Hier wird nicht
nur die völlige Autonomie der politischen Führung unterstellt,
sondern auch und vor allem die Autonomie der von
gesellschaftlichen Klasseninteressen losgelösten.
Kriegswirtschaft. Denn sämtliche Eingriffe der Hitlerregierung
in den wirtschaftlichen Machtbereich einzelner Großkonzerne können
letzten Endes auf die innere Logik der Kriegswirtschaft zurückgeführt
werden(7).
Nun ist aber
eine solche »Autonomie« bisher keineswegs bewiesen und kann
auch nicht bewiesen werden. Krieg und Kriegswirtschaft fielen
nicht vom Himmel und waren keine Kompostblüten faschistischer
Ideologie. Sie entsprangen einem bestimmten und bestimmbaren
Mechanismus ökonomischer Gegensätze, imperialistischer
Konflikte und Expansionstendenzen, die den Interessen der
herrschenden monopolkapitalistischen Gruppen der spätbürgerlichen
Gesellschaft entsprechen. Schließlich hat es auch vor Hitler
einen Ersten Weltkrieg gegeben und gibt es seit dem Zweiten
Weltkrieg eine permanente Aufrüstung in den USA(8). Auch die
Wurzeln der deutschen Kriegswirtschaft greifen tief in die
vorhitlersche Zeit zurück(9). Demnach können die
Kriegswirtschaft und ihre ehernen Gesetze keineswegs als etwas
dem deutschen Monopolkapitalismus Entgegengesetztes angesehen
werden, sondern sind als dessen Produkt zu verstehen. Und wenn
die Kriegswirtschaft in ihrer letzten Phase unzweifelhaft Formen
extremer Irrationalität nicht nur vom Standpunkt des
Einzelkapitalisten, sondern sogar von dem der bürgerlichen
Klasse als solcher annimmt, so sind diese Formen nicht auf das
Naziregime beschränkt. Sie drücken nur in schärfster Weise
die der kapitalistischen Produktionsweise innewohnende
Irrationalität aus - die bis zum äußersten betriebene
Verbindung von Anarchie und Planung, von objektiver
Sozialisierung und privater Aneignung, die bis ins Absurde
gesteigerte Verdinglichung gesellschaftlicher Beziehungen - und
enthalten dazu einen sehr realen rationalen Kern(10).
Das Wesen des
Faschismus kann nicht, wie es die bürgerliche Ideologie
versucht, durch Herauslösung eines bestimmten Moments -
Autonomie der politischen Führung, »Primat der Politik« -
erkannt werden; deren Schwäche zeigt sich auch in ihrer Unfähigkeit,
bestimmte historische Eigentümlichkeiten des Faschismus in ein
gesellschaftliches Gesamtkonzept zu integrieren. Ernst Nolte mißt
dem von Ernst Bloch zuerst in breitem Rahmen verarbeiteten
Konzept der »Ungleichzeitigkeit« der Geschichte (d.h. dem
Fortbestehen älterer Daseinsformen in der zeitgenössischen
Gesellschaft) große Bedeutung für das Verständnis des Phänomens
des Faschismus bei (dasselbe Konzept wurde wenigstens im Ansatz
von Labriola und Trotzki vor oder unabhängig von Bloch
entwickelt)(11). Es ist richtig, daß in der Ideologie des
Faschismus und in der Massenpsychologie des deklassierten Kleinbürgertums,
das den gesellschaftlichen Nährboden für das Aufkommen
faschistischer Massenbewegungen bildet, vorkapitalistische, zünftlerische,
halbfeudale Ideologie-Bruchstücke vergangener Zeiten eine nicht
unbedeutende Rolle spielen. Nolte kommt aber zu einem offenbaren
Trugschluß, wenn er schreibt: »Wenn er (der Faschismus) ein
Ausdruck von ’archaischen militaristischen Tendenzen’ ist,
dann hat er einen eigenen und unableitbaren Ursprungsbereich in
der menschlichen Natur, und dann ist er kein Sproß des
kapitalistischen Systems, obgleich er in der Gegenwart nur auf
dem Boden des kapitalistischen Systems, d.h. in bestimmten
Augenblicken von dessen Gefährdung, emporkommen konnte.« (12).
Das einzige,
was aus dem ersten Teil des Satzes folgt, ist der Gemeinplatz,
wenn es keinen »aggressiven Zug« in der menschlichen Natur gäbe,
würde es auch nicht zu aggressiven Handlungen kommen, ohne
Aggressivität keine Aggression, oder, wie es der unsterbliche
Molière ausdrückte: Das Opium schläfert den
Menschen ein,
weil es einschläfernde Eigenschaften besitzt. Nolte scheint
nicht zu verstehen, daß er dadurch noch keineswegs den zweiten
Teil seines Satzes bewiesen hat. Er müßte zeigen, daß in »guten
alten Zeiten« die »archaischen militaristischen Tendenzen«
ebenfalls faschistische oder faschismusartige Regierungsformen hätten
erzeugen können. Leider aber führten sie da zu Eroberungszügen
von Sklavenhaltern, Raubzügen von Hirtenvölkern oder feudalen
Kreuzzügen, die mit den wesentlichen Merkmalen, des
faschistischen, Regimes ebenso wenig zu tun haben wie eine römische
Villa oder ein mittelalterliches Dorf mit einem modernen Großbetrieb.
Demnach ist das Spezifische am Faschismus nicht, daß er die »in
der menschlichen Natur verwurzelte Aggressivität« zum Ausdruck
bringt (denn diese kommt in unzähligen, verschiedenartigen
historischen Bewegungen eben falls zum Ausdruck), sondern daß
er diese Aggressivität in eine bestimmte gesellschaftliche,
politische und militärische Form gießt, die es früher nie
gegeben hat. Und demnach ist der
Faschismus wohl
tatsächlich ein Produkt des imperialistischen
Monopolkapitalismus. Alle anderen Versuche, den Faschismus
hauptsächlich aus psychologischen Faktoren deuten zu wollen,
leiden an derselben grundlegenden Schwäche.
Der Versuch,
den Faschismus als ein Produkt spezifischer Wesenszüge
bestimmter Völker oder Rassen - oder einer bestimmten
historischen Vergangenheit - zu erfassen, ist methodologisch
kaum stichhaltiger; man steigt von der Individual- zur Völkerpsychologie
auf, ohne tatsächlich mehr zu erklären als jene Faktoren, die
im allgemeinsten Sinne eine Erscheinung wie den Faschismus überhaupt
ermöglichen. Weder die historische Rückständigkeit Italiens,
noch die preußisch-militärische Tradition Deutschlands, und
ganz sicher nicht der »Hang zur Disziplin« oder die »Furcht
vor der Freiheit« können den jähen Auf- und Abstieg des
Faschismus während der Jahre 1920 bis 1945 ausreichend erklären.
Oft sind diese Argumente deutlich widerspruchsvoll: war Italien
ein relativ rückständiges Industrieland, so war Deutschland
gerade die entwickeltste Industrienation auf dem europäischen
Festland. War der »Hang zur Disziplin« ein Grundzug des »deutschen
Volkscharakters« (zurückzuführen auf die verspätete
Aufhebung der Leibeigenschaft in Preußen), so gehören die
Italiener zu den »disziplinlosesten Völkern« Europas, nicht
zu reden von der dort völlig fehlenden militärischen
Tradition. Als sekundäre Faktoren und Ursachen haben diese
Elemente ohne Zweifel eine Rolle gespielt, um dem Faschismus in
jedem einzelnen Fall einen spezifisch nationalen Charakter zu
verleihen, der der historischen Besonderheit von
Monopolkapitalismus und Kleinbürgertum in jedem einzelnen Land
entspricht. Aber gerade wenn man den Faschismus als allgemeine
Erscheinung erfaßt, die ohne besondere geographische Begrenzung
in allen imperialistischen Ländern Wurzel faßte - und morgen
wieder Wurzel fassen kann - sind die Erklärungsversuche, die
hauptsächlich die nationalen Besonderheiten dieser oder jener
Situation in den Vordergrund rücken, besonders unzulänglich (13).
Die
Detailforschung nach besonderen Interessengruppen, und engeren,
sich befehdenden Sektoren des Großkapitals als spezifischen »Trägern«
des Faschismus hat vor allem durch die Veröffentlichung der
Protokolle und Materialien der Nürnberger Prozesse ein weites
Betätigungsfeld gefunden. Vieles davon bestätigt, was man
zuvor ahnen oder theoretisch-deduktiv erkennen konnte: daß es
in stärkerem Maße die Schwerindustrie als die Leichtindustrie
war, die an der Hitlerschen Machtergreifung und Aufrüstung ein
Interesse hatte, daß die »Arisierung« jüdischen Kapitals
keine bedeutende Rolle in der deutschen Wirtschaft gespielt
hat(14); daß der IG-Farben-Trust einen besonders aktiven und
bestimmenden Einfluß auf eine Reihe von wirtschafts- und
finanzpolitischen Entscheidungen des Hitlerregimes ausüben
konnte, usw.(15) Es ist schließlich nicht nötig, Berge von
Akten zu durchforschen, um zu erkennen, daß in der besonderen
Situation des deutschen Kapitalismus anno 1934 Fabrikanten von
Kanonen, Panzern und Ersatzmaterialien mehr an der Aufrüstung
profitierten als Hersteller von Unterwäsche, Spielwaren oder
Taschenmessern. Nolte aber begeht wiederum einen typischen
Denkfehler, wenn er behauptet: »...wenn er (Otto Bauer) aber
verschiedene in ihren Interessen wesentlich (?) entgegengesetzte
Fraktionen ’der’ Kapitalistenklasse unterscheidet (z.B. die
auf Export angewiesene Fertigwarenindustrie oder die
pazifistische Rentnerklasse im Gegensatz zu der an Rüstungsprofiten
interessierten Schwerindustrie), dann nützt die altgewohnte und
triviale Unterscheidung von herrschender Klasse und regierender
Kaste nichts mehr, und dann fällt die Rede vom Faschismus als
dem Vollzugsorgan ’des’ Kapitals dahin. Dann löst sich die
konstruierte ökonomische Einheit in die Vielfalt ihrer
historischen Elemente auf, und als relevante Frage bleibt nur
die zurück, unter welchen Voraussetzungen die Vielfalt als
Einheit erscheinen muß, und inwiefern sie gerade dadurch eine
Herrschaft verlieren kann, die in gewisser Hinsicht seit 150
Jahren in allen Staaten Europas selbstverständlich, aber in
keinem Falle uneingeschränkt war«(16).
Die gesamte
Argumentation dreht sich um das Wort »wesentlich« und kann nur
durch eine Analyse der Wesenszüge der kapitalistischen
Produktionsweise verdeutlicht werden. »Wesentlich« sind für
diese Produktionsweise und die in ihr herrschende Klasse weder
die Ausrichtung der Außenpolitik noch die Möglichkeit,
politisch frei reden und schreiben und direkt von ihr selbst gewählte
Vertreter mit den Regierungsgeschäften betrauen zu können. Das
alles hat es in verschiedenen Epochen der bürgerlichen
Gesellschaft gegeben und in vielen anderen wiederum nicht (oder
nicht in demselben Maße). Wesentlich ist das Privateigentum,
die Möglichkeit, Kapital zu akkumulieren und Mehrwert zu
realisieren. Und da sprechen die Zahlen eine besonders deutliche
Sprache. Die Profite sämtlicher Industrie- und
Handelsunternehmen stiegen von 6,6 Milliarden Mark im Jahre 1933
auf 15 Milliarden Mark im Jahre 1938; aber während der Umsatz
der Bremer Wollkämmerei praktisch stagnierte und der der AEG
nur um 55% zunahm, verdoppelte sich der von Siemens,
verdreifachte sich der Umsatz von Krupp und Mannesmann-Röhrenwerke,
versechsfachte sich der der Philipp Holzmann AG und
verzehnfachte sich der der Deutschen Waffen- und
Munitionsfabriken AG(17). Weit davon entfernt, nur eine
gedankliche Konstruktion zu sein, ergibt sich demnach ein sehr
eindeutiges wirtschaftliches Gesamtinteresse der
kapitalistischen Klasse, wie sich gleichzeitig auch
Sonderinteressen im Rahmen dieses Gesamtinteresses immer wieder
abheben und durchsetzen. Schließlich war der Satz, das
kapitalistische Privateigentum entstünde und wachse immer aus
der Expropriation vieler kleiner (und manch großer) Eigentümer,
nicht in der Hitlerschen Epoche geschrieben worden, sondern
bezog sich auf die Gesamtgeschichte dieser Produktionsweise.
Die
methodologischen Schwächen der Ansätze bürgerlicher
Faschismustheorien springen somit deutlich ins Auge. Weil ihnen
das Verständnis für Gesellschaftsstrukturen und
Produktionsweisen fehlt, sind die bürgerlichen Ideologen unfähig,
die widerspruchsvollen Momente der faschistischen Wirklichkeit
als eine dialektische Einheit zu erfassen und die Faktoren zu
erkennen, die sowohl die Integration wie die darauffolgende
Desintegration - den Aufstieg und den Niedergang - dieser
Momente in einer zusammenhängenden Totalität bestimmen.
Die
methodologische Überlegenheit des Marxismus besteht darin, daß
ihm eine solche Integration widerspruchsvoller analytischer
Momente - in Widerspiegelung einer widerspruchsvollen
gesellschaftlichen Wirklichkeit - gelingen kann. Der
Marxismus garantiert keinesfalls eine solche Analyse; das zeigen
leider zu viele Beispiele, deren Kritik viele Arbeiten des hier
vorliegenden Bandes gelten; daß er sie ermöglicht, zeigt in glänzender
Weise gerade der Beitrag Trotzkis zur Faschismustheorie.
III
Trotzkis
Faschismustheorie bildet eine Einheit von sechs Elementen, denen
eine gewisse Autonomie zukommt; jedes durchläuft auf Grund
seiner inneren Gegensätze eine bestimmte Entwicklung, aber sie
können nur als geschlossene und dynamische Totalität
verstanden werden und nur in ihrem inneren Zusammenhang
Aufkommen, Sieg und Niedergang der faschistischen Diktatur erklären.
a) Das
Aufkommen des Faschismus ist Ausdruck einer schweren
gesellschaftlichen Krise des Spätkapitalismus, einer Strukturkrise,
die, wie in den Jahren 1929 bis 1933, wohl mit einer klassischen
wirtschaftlichen Überproduktionskrise zusammenfallen kann, aber
weit über eine solche Konjunkturschwankung hinausgeht. Es
handelt sich grundsätzlich um eine Krise der
Verwertungsbedingungen des Kapitals, d.h. um die Unmöglichkeit,
eine »natürliche« Kapitalakkumulation unter den gegebenen
Konkurrenzbedingungen auf dem Weltmarkt (d.h. auf dem
bestehenden Niveau der Reallöhne und der Arbeitsproduktivität,
bei dem bestehenden Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten)
fortsetzen zu können. Die historische Funktion der
faschistischen Machtergreifung besteht darin, diese
Verwertungsbedingungen schlagartig. und gewaltsam zugunsten der
entscheidenden Gruppen des Monopolkapitalismus zu ändern.
b) Die
politische Herrschaft des Bürgertums wird unter den Bedingungen
des Imperialismus und der historisch gewachsenen, modernen
Arbeiterbewegung am günstigsten - d.h. mit den geringsten
Unkosten - auf dem Wege der bürgerlich-parlamentarischen
Demokratie ausgeübt, die u.a. gleichzeitig die Vorteile bietet,
durch gewisse Sozialreformen die Explosivität der
gesellschaftlichen Gegensätze periodisch abbauen zu können und
einen bedeutenden Sektor der bürgerlichen Klasse direkt oder
indirekt (über bürgerliche Parteien, Zeitungen, Hochschulen,
Unternehmerverbände, Kommunal- und Regionalverwaltungsorgane,
die Spitzen des Staatsapparates, das Zentralbanksystem usw.) an
der Ausübung der politischen Macht zu beteiligen. Diese
Herrschaftsform des Großbürgertums - historisch gesehen
keineswegs die einzige(18) - ist jedoch durch ein sehr labiles
Gleichgewicht von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen
bedingt. Wird dieses Gleichgewicht durch die objektive
Entwicklung zerschlagen, dann bleibt dem Großbürgertum kaum
ein an derer Ausweg als der Versuch, auch um den Preis der
Aufgabe der unmittelbaren Ausübung der politischen Macht eine höhere
Form der Zentralisierung der exekutiven Staatsgewalt zur
Verwirklichung seiner historischen Interessen durchzusetzen.
Historisch gesehen ist also der Faschismus Verwirklichung wie
Verneinung der dem Monopolkapital innewohnenden und von
Hilferding zuerst erkannten Tendenzen zur totalitären »Organisierung«
des gesamten gesellschaftlichen Lebens in seinem Interesse(19):
Verwirklichung, weil der Faschismus letzten Endes diese
historische Funktion erfüllt hat; Verneinung, weil er sie,
entgegen den Annahmen Hilferdings, nur durch die weitgehende
politische Expropriation des Bürgertums selbst erfüllen
konnte(20).
c) Unter den
Bedingungen des modernen industriellen Monopolkapitalismus und
der zahlenmäßig ungeheuren Disproportion . zwischen Lohnabhängigen
und Großkapitalbesitzern ist eine solche gewaltsame
Zentralisierung der Staatsgewalt mit Ausschaltung der meisten
(wenn nicht aller) Errungenschaften der modernen
Arbeiterbewegung (u.a. jener »Keime der proletarischen
Demokratie im Rahmen der bürgerlichen Demokratie«, wie Trotzki
zu Recht die Organisationen der Arbeiterbewegung nennt)
praktisch mit rein technischen Mitteln unmöglich. Weder eine
Militärdiktatur noch ein reiner Polizeistaat - ganz zu
schweigen von einer absolutistischen Monarchie - verfügen über
zureichende Mittel, um eine millionenstarke, bewußte
Gesellschaftsklasse für längere Zeit zu atomisieren, zu
entmutigen und zu demoralisieren, und so einem schon durch das
einfache Spiel der Marktgesetze periodisch begünstigten
Wiederaufflackern wenigstens elementarer Klassenkämpfe
vorzubeugen. Dazu ist eine Massenbewegung notwendig, die
ihrerseits große Menschenmengen in Bewegung bringt, die bewußteren
Teile des Proletariats in systematischem Massenterror, in
Kleinkrieg und Straßenkrieg zermürbt und demoralisiert und es
nach der Machtübernahme durch völlige Zerschlagung der
Massenorganisationen nicht nur atomisiert, sondern auch
entmutigt und resignieren läßt. Diese Massenbewegung kann es -
mit den ihr eigenen, den Bedürfnissen der Massenpsychologie
angepaßten Methoden - dann sogar erreichen, daß nicht nur ein
riesiger Apparat von Blockwarten, Straßenkontrolleuren,
NSBO-Zellen und einfachen Spitzeln die Massen der klassenbewußten
Lohnabhängigen ständig überwacht, sondern daß auch ein Teil
der weniger bewußten Arbeiter und (vor allem) Angestellten
ideologisch beeinflußt und teilweise in eine funktionierende
Klassenzusammenarbeit reintegriert wird.
d) Eine solche
Massenbewegung kann nur auf dem Boden der dritten
Gesellschaftsklasse entstehen, die im Kapitalismus neben Bürgertum
und Proletariat existiert: des Kleinbürgertums. Ist dieses
Kleinbürgertum von der Strukturkrise des Spätkapitalismus so
schwer betroffen, daß es in Hoffnungslosigkeit verfällt
(Inflation, Bankrott der Kleinunternehmen,
Massenerwerbslosigkeit von Akademikern, Technikern und höheren
Angestellten usw.), dann wird wenigstens in einem Teil dieser
Gesellschaftsklasse aus einer Verbindung von ideologischen
Reminiszenzen und psychologischen Ressentiments eine typisch
kleinbürgerliche Bewegung entstehen, die extremen Nationalismus
und, zumindest verbal ausgeprägte, antikapitalistische
Demagogie(21) mit größter Feindschaft gegenüber der
organisierten Arbeiterbewegung (»wider den Marxismus«, »wider
den Kommunismus«) verknüpft. Sobald sich diese vor allem in
den deklassierten Teilen des Kleinbürgertums rekrutierte
Bewegung auf den Einsatz direkter physischer Gewalt gegen die
Lohnabhängigen, ihre Aktionen und Organisationen einstellt, ist
eine faschistische Bewegung geboren. Nachdem sie eine autonome
Entwicklung durchlaufen hat, um eine Massenbewegung zu werden
und Massenwirkung zu erreichen, bedarf sie der finanziellen und
politischen Unterstützung wichtiger Teile des Monopolkapitals,
um sich, bis zur Machtergreifung durchzusetzen.
e) Die
vorherige Zermürbung und Zurückschlagung der Arbeiterbewegung,
die, wenn die faschistische Diktatur ihre historische Rolle erfüllen
will, unerläßlich ist, ist jedoch nur möglich, wenn sich in
der der Machtergreifung vorangehenden Periode die Waagschale
entscheidend zugunsten der faschistischen Banden und zuungunsten
der Lohnabhängigen senkt(22). Der Aufstieg der faschistischen
Massenbewegung kommt sozusagen einer Institutionalisierung des Bürgerkriegs
gleich, in dem jedoch objektiv gesehen beide Seiten eine
Erfolgschance besitzen (dies ist, nebenbei gesagt, der Grund,
weshalb das Großbürgertum nur unter ganz besonderen, »abnormen«
Bedingungen derlei Experimente gutheißen und finanzieren wird;
ein bestimmtes Risiko ist in solcher va-banque-Politik ohne
Zweifel von vornherein vorhanden). Gelingt es den Faschisten,
den Feind, d.h. die organisierte Arbeiterschaft, zu
zersplittern, zu paralysieren, zu entmutigen und zu
demoralisieren, dann ist ihnen der Sieg gewiß. Gelingt es aber
der Arbeiterbewegung, erfolgreich zurückzuschlagen und selbst
die Initiative zu ergreifen, dann kann nicht nur dem Faschismus,
sondern auch dem Kapitalismus, der ihn gebar, eine entscheidende
Niederlage zugefügt werden. Das hat technisch-politische wie
sozialpolitische und sozialpsychologische Gründe. Die
faschistischen Banden organisieren anfangs nur die
entschlossensten und desperatesten Teile des Kleinbürgertums
(seinen »Wildgewordenen« Teil). Die Masse der Kleinbürger,
wie auch der bewußtlose und nicht organisierte Teil der Lohnabhängigen
und vor allem der Arbeiter- und Angestelltenjugend, wird
normalerweise zwischen den beiden Lagern hin- und herschwanken.
Er wird dazu neigen, sich auf diejenige Seite zu schlagen, die
am meisten Kühnheit und Entschlußkraft zeigt; er setzt am
liebsten auf das Pferd, das gewinnt. Deshalb läßt sich sagen,
daß der Sieg des Faschismus historisch gesehen die Unfähigkeit
der Arbeiterbewegung zum Ausdruck bringt, die Strukturkrise des
Spätkapitalismus in ihrem eigenen Interesse und gemäß ihren
eigenen Zielen zu lösen. Erst eine solche Krise bietet im
allgemeinen der Arbeiterbewegung die Chance, sich durchzusetzen.
Nur wenn diese Chance verpaßt wird und die Klasse verführt,
gespalten und demoralisiert ist, kann der Zusammenstoß zum
Triumph des Faschismus führen.
f) Ist es dem
Faschismus gelungen, »als Rammbock die Arbeiterbewegung zu
zerschlagen«, dann hat er vorn Standpunkt der
Monopolkapitalisten seine Schuldigkeit getan. Seine
Massenbewegung wird bürokratisiert und dem bürgerlichen
Staatsapparat weitgehend einverleibt, was nur geschehen kann,
wenn die extremsten Formen plebejisch-kleinbürgerlicher
Demagogie, die zu den »Zielen der Bewegung« gehörten, von der
Oberfläche und aus der offiziellen Ideologie verschwinden(23).
Dies steht zu der fortdauernden Verselbständigung des höchst
zentralisierten Staatsapparates keineswegs im Gegensatz. Ist
aber die Arbeiterbewegung besiegt und haben sich die
Verwertungsbedingungen des Kapitals im Inneren entscheidend
zugunsten des Großbürgertums verändert, so konzentriert sich
dessen politisches Interesse mit Notwendigkeit auf eine ähnliche
Änderung auf dem Weltmarkt. Dazu drängt gleichfalls der
drohende Staatsbankrott. Die va-banque-Politik des Faschismus
wird aus der sozialpolitischen in die finanzielle Sphäre
hineingetragen, schürt die permanente Inflation und läßt
letzten Endes keinen anderen Ausweg als das außenpolitisch-militärische
Abenteuer. Diese ganze Entwicklung bedingt jedoch innenpolitisch
wie wirtschaftlich (im Zuge der Kriegswirtschaft) keinen Ausbau,
sondern einen Abbau der Position des Kleinbürgertums (mit
Ausnahme jenes Teils, der mit Pfründen im verselbständigten
Staatsapparat abgespeist werden kann). Es kommt zu keiner »Brechung
der Zinsknechtschaft«, sondern zur prononcierten Beschleunigung
der Konzentration des Kapitals. Hierin zeigt sich der
Klassencharakter der faschistischen Diktatur, der dem der
faschistischen Massenbewegung nicht entspricht. Nicht die
historischen Interessen des Kleinbürgertums, sondern die des
Monopolkapitals werden durch sie vertreten. Setzt sich diese
Tendenz einmal durch, dann vermindert sich notwendigerweise die
bewußte und aktive Massenbasis des Faschismus. Die
faschistische Diktatur hat die Tendenz, selbst diese Massenbasis
abzubauen und zu zersetzen. Die faschistischen Banden werden zu
Anhängseln der Polizei. Der Faschismus verwandelt sich in der
Phase seines Niedergangs in eine besondere Form des
Bonapartismus zurück(24).
Dies sind die
konstitutiven Elemente von Trotzkis Faschismustheorie. Sie fußt
auf einer Analyse der besonderen Bedingungen, unter denen sich
der Klassenkampf in den hochindustrialisierten Ländern während
der spätkapitalistischen Strukturkrise (Trotzki selbst sprach
von der »Epoche des Niedergangs des Kapitalismus«) entwickelt,
und auf einer besonderen - für Trotzkis Marxismus
charakteristischen - Verbindung objektiver und subjektiver
Faktoren in der Theorie des Klassenkampfes wie beim Versuch, ihn
praktisch zu beeinflussen.
IV
In welchem Verhältnis
steht nun die Faschismustheorie Trotzkis zu der der anderen Strömungen
der Arbeiterbewegung? Welche spezifischen Merkmale ergeben sich
aus einem Vergleich mit anderen Versuchen, das Problem des
Faschismus mit Hilfe der marxistischen Methode zu ergründen?
Bei den
sozialdemokratischen Autoren fällt vor allem die
pragmatisch-apologetische Natur der Analyse auf; die Theorie muß
der erzopportunistischen Praxis zu Hilfe eilen und ihr Versagen
durch die »Schuld des Gegners« erklären. Dieser Opportunismus
hatte in der damaligen Zeit die Nabelschnur zum
objektivistisch-fatalistischen Vulgärmarxismus Kautskys noch
nicht durchschnitten. Neben der »Schuld der Gegner« erscheint
als ultima ratio immer die Gewalt der »objektiven Bedingungen«:
die »Kräfteverhältnisse« erlaubten halt nicht, Besseres zu
erreichen. Daß eigenes Handeln diese Kräfteverhältnisse ändern
kann, daß auch eigene Untätigkeit diese Kräfteverhältnisse -
nämlich zugunsten des Klassenfeindes - ändert, war dieser
Schule nie geläufig.
Grundtenor ist
hierbei die abgeschmackte These, die radikale Agitation der »Bolschewisten«
hätte dem Faschismus die Möglichkeit oder zumindest den
Vorwand zur Mobilisierung der verängstigten und konservativen
Bevölkerungsschichten geboten. Der Faschismus sei die Strafe,
die dem Proletariat von der Großbourgeoisie für kommunistische
Agitation auferlegt worden sei. »Wollt Ihr die Kleinbürger
nicht erschrecken und die Großkapitalisten nicht reizen, so
bleibt gemäßigt«. Diese liberale Weisheit der »goldenen
Mitte«(25) übersieht, daß es gerade der Bankrott der »gemäßigten«
Alltagspolitik im bürgerlichen Parlamentarismus unter
Bedingungen der verschärften Strukturkrise des Spätkapitalismus
ist, der die Kleinbürger verzweifelt in die Arme der Faschisten
treibt. Um sie davon abzuhalten, muß eine Alternativlösung
angeboten werden, für die sich Erfolgschancen in der täglichen
Praxis des Kampfes ergeben. Fehlt diese Alternativlösung und
bleibt dem verarmten und deklassierten Kleinbürgertum nur die
Wahl zwischen ohnmächtigem Parlamentarismus und
aufmarschierendem Faschismus, dann wird es sich
konsequenterweise für den Faschismus entscheiden. Und gerade
die »gemäßigte« Selbstbeschränkung und Selbsteinschüchterung
der Arbeiterbewegung wird die Massen in dem Gefühl bestärken,
das faschistische Pferd sei das aussichtsreichste.
Besonders
hilflos zeigt sich die sozialdemokratische Faschismustheorie
dann, wenn sie die These »Um jeden Preis an der Legalität
festhalten« vertritt, in dem irrigen Glauben, gerade wenn die
Faschisten den Boden der Legalität verließen, müßten die
Organisationen der Lohnabhängigen sich ausschließlich auf
legale Aktionen beschränken. Sie übersieht dabei, daß Legalität
und Staat nicht Verdinglichungen abstrakter Begriffe, sondern
Ausdruck konkreter Gesellschaftsinteressen und -klassen sind.
Die »Legalität« und der »Staat«, das waren letzten Endes
die Richter, die Oberste und Majore der Reichswehr, die durch
tausend Fäden mit ihren »Kameraden« vom Stahlhelm und von der
SS verbunden waren, und die die organisierte Arbeiterbewegung
ebenso - nur etwas »zivilisierter« - haßten und bekämpften,
wie die faschistischen Banden es taten. Sie als Schutz gegen
diese Banden zu benutzen, hieß tatsächlich, jenen schutzlos
gegenüberzutreten.
Ein bedeutsames
Element der sozialdemokratischen Faschismustheorie liegt auch in
der Hypostasierung des Faktors »Wirtschaftskrise« und »Massenerwerbslosigkeit«:
Wenn es keine Wirtschaftskrise gäbe, würde die Gefahr des
Faschismus verschwinden. Man übersieht dabei, daß die
Strukturkrise wichtiger ist als die Konjunkturkrise und daß
beim Fortdauern der ersteren auch die Milderung der letzteren
die Lage nicht grundlegend ändert. Das mußten belgische
Sozialdemokraten wie Spaak und de Man erleben, die mit allen
Mitteln auf den Abbau der Erwerbslosigkeit hinarbeiteten - auch
unter Preisgabe wichtiger Positionen, vor allem der Kampfkraft
der Lohnabhängigen - und dennoch die Faschisten wachsen und
nicht zurückfluten sahen.
Alle Ansätze
zu dieser sozialdemokratischen Faschismustheorie sind bereits in
den ersten Arbeiten vorhanden, die die italienischen
Sozialdemokraten der über sie hereinbrechenden Katastrophe
widmeten. So schreibt Giovanni Zibordi schon im Jahre 1922: »...
den Exzessen des Extremismus (ist) die Verantwortung dafür
zuzuschreiben, daß sie die Atmosphäre geschaffen haben, wie
der sozialistischen und Arbeiterbewegung im ganzen die
Verantwortung dafür zukommt, daß sie jene kleinbürgerlichen
und intellektuellen Schichten in die Arme des Faschismus stießen,
die keinen wahren ökonomischen Grund haben, den Sozialismus zu
fürchten und zu hassen«(26). Turati wiederholt ein paar
Jahrespäter: » ... infolge der philo‑bolschewistischen
Exzesse (ist) die Furcht der besitzenden Klassen, ihre
Privilegien zu verlieren, so infantil und phantastisch sie war,
in gewissen Augenblicken real und sehr groß gewesen ... Der
Schluß ist zulässig, daß ohne dieses Verhalten die
plutokratisch faschistische Zusammenarbeit nicht möglich
gewesen wäre«(27). Und es ist zu bedauern, daß ein ehemaliger
Kommunist und Marxist wie Angelo Tasca in seinem vor dem Zweiten
Weltkrieg verfaßten Buch zu dem Schluß kommt, man könne nicht
gleichzeitig Staatsapparat und Faschismus bekämpfen und müsse
sich deshalb mit dem ersten gegen den letzteren verbünden(28).
Die deutschen
Sozialdemokraten bieten nur einen vulgarisierten und verflachten
Abklatsch dieser Thesen. Ihr bedeutendster Theoretiker der
zwanziger Jahre, der belgische Antimarxist Hendrik de Man, der
die Psychologie des Kleinbürgertums im Faschismus zu ergründen
versuchte, kam auch nach der deutschen Katastrophe zu dem Schluß,
man dürfe das Kleinbürgertum nicht »erschrecken« und ließ
deshalb eine große Welle von Arbeiterenthusiasmus und
Kampfwillen für den Generalstreik im Jahre 1935 jäh abblasen,
womit er alle Voraussetzungen für das riesige Anschwellen der
faschistischen Bewegung Belgiens seit dem Jahre 1936 schuft(29).
Nur Léon Blum war klug genug, nach der Machteroberung Hitlers
auszusprechen, der Sieg der Nazis sei die Strafe dafür, daß
die deutsche Sozialdemokratie nach dem Zusammenbruch des
Kaiserreiches die Ansätze zur proletarischen Revolution
erstickt und dadurch alle jene Faktoren - von der Reichswehr bis
zu den Freikorps - freigesetzt und gestärkt hätte, die sie nun
schmählich davonjagen würden(30). Aber derselbe Léon Blum
konnte, als er wenige Jahre später mit einem großen
Massenstreik konfrontiert wurde, nichts anderes tun, als die
Abwiegelungspolitik der Ebert und Scheidemann wiederholen, was
zum Zusammenbruch der Dritten Republik und zur Machtergreifung
des senilen Vichy-Bonapartismus führen mußte.
Die offizielle
Faschismustheorie der Komintern nach Lenins Tod hat die Bewährungsprobe
kaum besser bestanden als die sozialdemokratische. Gewiß gab es
Ansätze zu einer marxistischen Analyse der drohenden Gefahr,
die international über der Arbeiterbewegung hing. Bei Clara
Zetkin, Radek, Ignazio Silone und manchmal auch bei Sinowjew
findet man Elemente einer marxistischen Faschismustheorie. Sehr
bald geriet aber die theoretische Arbeit der Komintern ins
Fahrwasser der Fraktionskämpfe der russischen Kommunistischen
Partei. Es galt nicht mehr, objektive Prozesse wissenschaftlich
zu erfassen, sondern einer Stalin hörigen Fraktion die Führung
der KPD zuzuspielen. Diesem Ziel wurden rücksichtslos alle
Erfordernisse marxistischer Analyse und des revolutionären
Klassenkampfes in Deutschland untergeordnet.
Das Ergebnis
ist bekannt. Es ist die Theorie, die den eigenständigen
Massencharakter der faschistischen Bewegung verkennt und den
Faschismus als direkten Ausdruck der Interessen der »aggressivsten
Teile des Monopolkapitals« versteht. Ihr folgt die Theorie des
Faschismus als des »Zwillings« der Sozialdemokratie im Dienste
des Monopolkapitals, die Theorie der »graduellen« oder »schrittweisen
Faschisierung« der Weimarer Republik, die die Werktätigen über
den katastrophalen Charakter der faschistischen Machtergreifung
täuscht und sie vom Kampf gegen noch bevorstehende Gefahren abhält.
Das Ganze wird durch die Theorie des »Sozialfaschismus« gekrönt,
die in ihrer extremsten Form zu der These führt, erst müsse
man die Sozialdemokratie geschlagen haben, bevor man den
Faschismus schlagen könne(31). Als Abschluß kam noch der
typisch sozialdemokratische und defätistische Zusatz, »Hitler
würde« - u. a. durch seine Unfähigkeit, die Wirtschaftskrise
zu lösen - »rasch abwirtschaften«, »und nach Hitler kommen
wir«. Dieses »analytische« Element beinhaltete praktisch, daß
man sich bereits mit der Unabwendbarkeit der Hitlerschen
Machtergreifung abgefunden hatte und die Auswirkungen dieser
Machtergreifung auf die Zerschlagung der Arbeiterbewegung
gewaltig unterschätzte. Die gesamte Analyse konnte nur den
Widerstand gegen den siegreichen Aufmarsch der Nazis verwirren
und paralysieren.
Erst 25 Jahre
später vermochte sich die »offizielle« kommunistische
Weltbewegung zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der
falschen Faschismustheorie Stalins aufzuraffen. Der praktische
Bruch mit dieser Theorie war allerdings sehr rasch geschehen -
nachdem es zu spät war. Die Wende zur Volksfrontpolitik im
Jahre 1935 implizierte eine völlige Revision der Theorie des »Sozialfaschismus«
und eine sprunghafte Wendung zu einer ebenso fehlerhaften
Rechts-Politik, nachdem die ultralinke Politik so verheerende
Folgen gehabt hatte(32). Aber da Stalins Schriften und Thesen
bis zum Jahre 1956 tabu waren, begann eine vorsichtige Revision
der Sozialfaschismustheorie erst nach Beginn der sogenannten
Entstalinisierung(33). Der italienische KP-Führer Togliatti
sprach offen aus, was die meisten kommunistischen Kader im
stillen dachten, und die offizielle, in der DDR veröffentlichte
»Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung« unterwarf Theorie
und Praxis der KPD in den Jahren 1930 bis 1933 einer zwar
vorsichtigen, aber doch gründlichen Kritik, ohne freilich neue
Fehler in der Bestimmung von Wesen und Funktion des Faschismus
zu vermeiden(34).
Die Theorien
von der »graduellen Faschisierung« und vom »Sozialfaschismus«
sind nicht nur falsche Einschätzungen der politischen
Konjunktur und taktische Fehler im Kampf gegen den Aufmarsch des
Faschismus. Sie gehen am entscheidenden Merkmal des Faschismus
vorbei, das durch Trotzki so richtig erkannt und durch die
Geschichte so tragisch bestätigt wurde.
Der Faschismus
ist nicht bloß eine neue Etappe der Stärkung und Verselbständigung
der Exekutive des bürgerlichen Staates. Er ist nicht bloß »die
offene Diktatur des Monopolkapitals«. Er ist eine besondere Form
der »starken Exekutive« und der »offenen Diktatur«, die sich
durch völlige Zerschlagung sämtlicher Arbeiterorganisationen
- auch der gemäßigten, sicher der sozialdemokratischen -
kennzeichnet. Er ist der Versuch, durch völlige Atomisierung
der Werktätigen jegliche Form des organisierten
Klassenkampfes, der organisierten Selbstverteidigung der Lohnabhängigen,
gewaltsam zu verhindern. Man sieht, wie falsch die These ist,
die besagt: weil die Sozialdemokratie dem Faschismus den Weg
ebne, seien Faschismus und Sozialdemokratie Verbündete, und man
könne sich nicht mit der letzteren gegen den ersteren Verbünden.
Gerade das
Umgekehrte trifft zu. Die Sozialdemokratie bereitete tatsächlich
die Machtergreifung des Faschismus vor, indem sie die Kampfkraft
der Werktätigen durch ihre Politik der Klassenkollaboration
untergrub und sich mit dem Bankrott der parlamentarischen
Demokratie identifizierte. Die Machtergreifung des Faschismus
ist aber gleichzeitig der Untergang der Sozialdemokratie. Dessen
werden sich die Masse der sozialdemokratischen Mitglieder und
nicht wenige ihrer Führer umso bewußter, je näher der
Augenblick der Katastrophe rückt und sich in zahlreichen
blutigen Zwischenfällen schon in der Gegenwart ankündigt. Und
dieses Bewußtsein - das zugleich alle Widersprüche der
sozialdemokratischen Politik ausdrückt - kann bei richtiger
Einheitsfrontpolitik zum Ausgang einer wirklichen Aktionseinheit
der Lohnabhängigen und einer tatsächlichen, schlagartigen Änderung
der gesellschaftspolitischen Kräfteverhältnisse werden, die
nicht nur zum Sieg über den Faschismus, sondern auch zum Sieg
über den Kapitalismus (und außerdem zum Sieg über die
sozialdemokratische Politik der Zusammenarbeit der Klassen und
der Versöhnung) führen könnte.
Dieselbe
Verkennung der spezifischen Besonderheit des Faschismus finden
wir in einer Reihe theoretischer Versuche von Autoren, die
zwischen Marxismus und vulgärem Sozialreformismus stehen. So
sieht Max Horkheimer im Faschismus »die modernste Form der
monopolkapitalistischen Gesellschaft«. Eine ähnliche
Konzeption vertrat auch Paul Sering (Richard Löwenthal) mit der
These, Nationalsozialismus sei »Planimperialismus«(35). Beide
Meinungen knüpfen offensichtlich an die Hilferdingsche These
von der Kongruenz zwischen der politischen Machtzentralisation
im bürgerlichen Staat und der »höchsten Form der
Konzentration des Kapitals« an, die jener im Finanzkapital sah.
Aber so genial und historisch zutreffend die skizzierte
Voraussage - trotz der implizierten Vereinfachung - im Jahre1907
auch war, so unzutreffend wird sie in den Jahren unmittelbar vor
und nach der Hitlerschen Machtergreifung. Man kann den
Faschismus nicht begreifen, wenn man von zwei entscheidenden
Momenten der Analyse abstrahiert: daß die höchste Form der
Zentralisation des bürgerlichen Staates nur durch die
politische Selbstentmachtung des Bürgertums erreicht werden
kann(36), und daß es sich nicht um die »modernste Form der
monopolkapitalistischen Gesellschaft«, sondern um den Ausdruck
der schärfsten Form der Krise dieser Gesellschaft handelt(37).
In seinem Buch
»Der Faschismus - Seine Entstehung und seine Entwicklung«
versucht Ignazio Silone nicht ohne Erfolg, den Faschismus als
das Ergebnis der tiefen Strukturkrise der italienischen bürgerlichen
Gesellschaft und der gleichzeitigen Unfähigkeit der
italienischen Arbeiterbewegung darzustellen, diese Krise durch
eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft zu lösen(38).
Auch hat er richtig den Unterschied zwischen Faschismus und »klassischer«
Militärdiktatur oder Bonapartismus erkannt(39). Seine
Definition der »politischen Unreife« der Arbeiterbewegung
bleibt jedoch an der Schwelle des zu lösenden Problems stehen.
Welcher Faktor hindert diese Arbeiterbewegung, als Vertreterin sämtlicher
ausgebeuteten Schichten der Nation aufzutreten, breite Schichten
des Kleinbürgertums zu neutralisieren oder für sich zu
gewinnen und den Kampf um die Macht auf die Tagesordnung zu
setzen? Es. ist kein Zufall, daß der Begriff »sozialistische
Revolution« in Silones Buch kaum vorkommt und daß er wenig
Verständnis dafür zeigt, daß die Lösung der von ihm selbst
geschilderten, komplexen Aufgabe einen strategischen Plan erfordert,
der nur durch eine dazu geschaffene, revolutionäre Partei gelöst
werden kann. So richtig seine Kritik an den italienischen
Reformisten, Maximalisten und den unreifen ultralinken und
fatalistischen Tendenzen der jungen italienischen KP auch sein
mag, sie führt zu keiner Alternativlösung und läßt den
Eindruck entstehen, »politische Reife« und Fähigkeit zur
politischen Führung seien entweder das Ergebnis eines
biologischen Zufalls (»In Rußland gab es Lenin«) oder eine
mystische Angelegenheit. Es ist verständlich, daß Silone nicht
lange an diesen typischen Übergangspositionen festhalten
konnte; er entwickelte sich rasch zum Reformisten zurück.
Die beiden
wichtigsten Beiträge zur Faschismustheorie, die neben dem
Trotzkis in den zwanziger und dreißiger Jahren von
marxistischer Seite geleistet wurden, waren die von August
Thalheimer und Otto Bauer(40). August Thalheimers
Faschismusanalyse kommt der Trotzkis am nächsten. Durch zu enge
Anlehnung an die Marxsche Analyse des Bonapartismus des 19.
Jahrhunderts und Überbetonung der »graduellen Faschisierung«
unterschätzt er aber den qualitativen Unterschied
zwischen Bonapartismus und Faschismus (Verselbständigung des
Staatsapparats mit »traditioneller« Repression der revolutionären
Bewegung versus Verselbständigung des Staatsapparats mit Zertrümmerung
aller Arbeiterorganisationen und Versuch einer vollständigen
Atomisierung der Lohnabhängigen). Ferner reduziert er das
Faschismusproblem auf die gesellschaftspolitischen Kräfteverhältnisse
- die Arbeiterschaft ist noch nicht fähig, die politische
Herrschaft auszuüben; das Großbürgertum ist dazu selbst nicht
mehr fähig -, ohne den Zusammenhang der Entwicklung dieser Kräfteverhältnisse
mit der Strukturkrise des Spätkapitalismus zu
durchleuchten(41).Trotzkis Faschismustheorie vereint dagegen die
widerspruchsvollen Momente zu einer dialektischen Einheit, indem
sie einerseits die Triebkräfte aufzeigt, die in einer Situation
der strukturellen Krise des Kapitalismus die Arbeiterschaft zur
Eroberung und Ausübung der politischen Herrschaft befähigen könnten
– in dieser Frage war die Thalheimersche Verwechslung
der objektiv-historisch bedingten Unreife der französischen
Arbeiterklasse in den Jahren 1848 bis 1850 mit der nur
subjektiven Unreife der deutschen Arbeiterklasse in den Jahren
1918 bis 1933, die gerade im Widerspruch zur objektiven Möglichkeit
steht, besonders verhängnisvoll -, andrerseits den
funktionellen Charakter der »Verselbständigung« des
Staatsapparates unter dem Faschismus hervorhebt, die ja gerade
durch die Verhinderung jeglichen organisierten
Klassenwiderstands des Proletariats die Verwertungsbedingungen
des Kapitals radikal zugunsten des Großbürgertums ändert und
dadurch die Strukturkrise zeitweilig - bis zur nächsten
Explosion - lösen soll.
Otto Bauer
sieht im Faschismus eine Verbindung dreier Momente: der
Deklassierung von Teilen des Kleinbürgertums durch den Krieg;
der Verelendung weiterer Teile des Kleinbürgertums durch die
Wirtschaftskrise, die zu deren Bruch mit der bürgerlichen
Demokratie führt; schließlich des Interesses des Großkapitals
an vermehrter Ausbeutung der Arbeitskraft, wozu der Widerstand
der Arbeiterklasse und der Arbeiterorganisationen
notwendigerweise gebrochen werden muß(42). Richtig erkennt er
auch, daß »der Faschismus nicht in einem Augenblick gesiegt
(hat), in dem die Bourgeoisie von der proletarischen Revolution
bedroht gewesen wäre. Er hat gesiegt, als das Proletariat schon
längst geschwächt und in die Defensive gedrängt, die
revolutionäre Flut schon abgeebbt war. Die Kapitalistenklasse
und der Großgrundbesitz haben die Staatsmacht den
faschistischen Gewalthaufen nicht Überantwortet, um sich vor
einer drohenden proletarischen Revolution zu schützen, sondern
um die Löhne zu drücken, die sozialen Errungenschaften der
Arbeiterklasse zu zerstören, die Gewerkschaften und die
politischen Machtpositionen der Arbeiterklasse zu zertrümmern;
nicht also, um einen revolutionären Sozialismus zu unterdrücken,
sondern um die Errungenschaften des reformistischen Sozialismus
zu zerschlagen«(43).
So sehr diese
Analyse dem unsinnigen Nachplappern der faschistischen These,
der Faschismus stelle nur eine Antwort auf die »bolschewistische
Gefahr« dar, durch die Vulgärreformisten überlegen ist, so
leidet sie doch fatal an der Unterschätzung der tiefen Strukturkrise,
die den Kapitalismus in den Jahren 1918 bis 1927 in
Italien und in den Jahren 1929 bis 1933 in Deutschland erschütterte,
die diese Gesellschaftsordnung schwächte und nicht stärkte,
dadurch aber zugleich die objektiven Möglichkeiten einer
Machteroberung durch die Arbeiterklasse verbesserte. Die
mechanische Trennung von »Defensive« und »Offensive« - wie
Otto Bauer sieht auch Thalheimer den Sieg des Faschismus als
logischen Ausgang der nach Niederschlagung der Ansätze der
proletarischen Revolution von 1918 bis 1921 sich immer weiter
ausdehnenden Konterrevolution, ohne zu erkennen, daß die 15
Jahre von 1918 bis 1933 durch ein periodisches An‑ und
Abschwellen der revolutionären Möglichkeiten und keineswegs
durch einen geradlinigen Abstieg gekennzeichnet waren - führt
lediglich dazu, diesen Zusammenhang zu verschleiern.
Und die
unvollständige Analyse führt ihrerseits zu schwer wiegenden
taktischen Fehlern. Da man sich in einer »defensiven Phase«
befand, glaubte der »revolutionäre Sozialist« Otto Bauer,
sich darauf beschränken zu müssen, »Gewehr bei Fuß«
abzuwarten, bis die kleriko-faschistische Reaktion die
Arbeiterorganisationen angriff; dann - aber nur dann - würde
man sich mit allen Mitteln, inklusive Waffen, verteidigen. Dies
führte zum heroischen Schutzbundkampf vom Februar 1934, der
gewiß der kampflosen Kapitulation der SPD und der KPD vor dem
Naziregime haushoch überlegen war, doch genau wie diese zur
Niederlage führen mußte. Denn nur wenn die Arbeiterbewegung
die ganze Tiefe der Strukturkrise erkennt, offen ausspricht, daß
sie diese Krise nur mit ihren eigenen Mitteln lösen will und
deshalb den Kampf um die Eroberung der Macht als ein Nahziel
anvisiert, kann es ihr gelingen, die am status quo (und auch an
der bloßen »Verteidigung« der Arbeiterorganisationen) nicht
mehr interessierten Mittelschichten und die schwankenden Teile
der Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen.
Ein so
scharfsinniger Historiker wie Arthur Rosenberg beschließt seine
Geschichte der Weimarer Republik im Jahre 1930 mit den Worten:
»1930 ging die bürgerliche Republik in Deutschland zugrunde,
weil ihr Schicksal den Händen des Bürgertums anvertraut war
und weil die Arbeiterschaft nicht mehr stark genug war, um die
Republik zu retten«(41). Daß - sofern die Führung der
Arbeiterschaft nicht versagte - noch fast drei Jahre Zeit
blieben, um durch aktiven Kampf der Arbeiterschaft zwar nicht
die bürgerliche Demokratie zu retten, aber das, was von
demokratischen Elementen sich zu erhalten lohnt, in den
Sozialismus hinüberzuretten, entging der fatalistischen
Geschichtsschreibung Rosenbergs.
V
Wir haben
Trotzkis Faschismustheorie mit anderen Versuchen zur Erklärung
des Faschismusphänomens verglichen und ihre eindeutige Überlegenheit
erkannt, die u.a. aus der Fähigkeit zur Integration einer
Vielzahl von Teilaspekten in eine dialektische Einheit
entspringt. Wir verfügen heute über eine bedeutende Anzahl
empirischer Daten, die Trotzki und anderen marxistischen Autoren
der Periode unmittelbar vor und nach der Machtergreifung durch
die NSDAP unbekannt waren. Was können diese Daten bezüglich
einiger der entscheidenden, strittigen Punkte der
Faschismustheorie aussagen?
Am
eindeutigsten bleibt das Zeugnis über die wirtschaftliche und
gesamtpolitische Funktion der faschistischen Diktatur. Durch
Zerschlagung der organisierten Arbeiterbewegung gelang es
Hitler, einen für die kapitalistischen Unternehmer geradezu
mirakulösen Lohnstop zu erzielen. Die Stundenlöhne wurden auf
der Basis der Wirtschaftskrise eingefroren; das Verschwinden der
Massenerwerbslosigkeit führte zu keiner bedeutsamen Erhöhung
der Lohnsätze. Gleiche Löhne zahlen zu können, wenn es 5
Millionen Erwerbslose gibt, und gleiche Löhne zu zahlen, wenn
es keine Erwerbslosen gibt - das war dem Kapital in seiner
gesamten Geschichte noch nie gelungen.
Für
qualifizierte Arbeiter sank der Durchschnittsstundenlohn von
95,5 Pfennigen im Jahre 1928 auf 70,5 Pfennige im Jahre 1933 und
stieg dann auf 78,3 Pfennige im Jahre 1936, 79,0 Pfennige im
Jahre 1940 und 80,8 Pfennige im Oktober 1942(45). Diese Zahlen
beziehen sich auf den durchschnittlichen Tariflohn in 17
Industriezweigen. Andere Quellen zitieren etwas höhere Zahlen
der durchschnittlichen Tariflöhne gelernter Arbeiter in der
Gesamtwirtschaft des Deutschen Reiches; diese sollen vom Januar
1933 bis 1937 weiter gefallen sein, von 79,2 Pfennigen auf 78,5
Pfennige, um dann langsam auf 79,2 Pfennige im Jahre 1939, 80
Pfennige im Dezember 1941 und 81 Pfennige im Oktober 1943 zu
Steigen(46). Aber auch diese Zahlen bestätigen eindeutig das
Bild von Tariflöhnen, die weit unter dem Vorkrisenniveau
blieben - bei gewaltigem Arbeitskräftemangel fürwahr eine »großartige«
Leistung des NS‑Regimes! Zusammenfassend stellt Neumann
fest, daß sich die Verteilung des deutschen Nationaleinkommens
zwischen 1932 und 1938 scharf zugunsten des Kapitals verändert
hat: der Anteil des Kapitals (Kapitaleinkommen, Industrie- und
Handelsprofit sowie unverteilte Gewinne der Industrie) stieg von
17,4% des Volkseinkommens im Jahre 1932 (und 21% im Jahre 1929)
auf 25,2% im Jahre 1937 und 26,6% im Jahre 1938(47). Es sollte
sich angesichts dieser Daten eigentlich erübrigen, überhaupt
noch über die Klassennatur des faschistischen Staates
diskutieren zu müssen.
Unmittelbar
nach diesen grundlegenden Fragen der wirtschaftlichen Funktion
des Faschismus sollte seine Auswirkung auf Akkumulation und
Konzentration des Kapitals erwähnt werden. Auch auf diesem
Gebiet verfügen wir heute über ein umfassendes
Tatsachenmaterial, das die marxistischen Thesen voll und ganz
bestätigt. Das Gesamtkapital aller deutschen
Aktiengesellschaften stieg von 18,75 Milliarden RM im Jahre 1938
(20,6 Milliarden RM im Jahre 1933) auf mehr als 29 Milliarden RM
zu Ende des Jahres 1942; gleichzeitig fiel jedoch die Zahl der
Aktiengesellschaften von 5518 im Jahre 1938 auf 5404 im Jahre
1942; und sie war bereits vorher von 10437 im Jahre 1931 und
9148 im Jahre 1933 auf beinahe die Hälfte dieser Zahl im Jahre
1938 zurückgegangen. Der Anteil der Größtkonzerne mit einem
Kapital von mehr als 20 Milliarden RM an diesem Gesamtkapital
stieg von 51,4% im Jahre 1933 auf 53,5% im Jahre 1939 und 63,9%
im Jahre 1942(48).
Der Staat begünstigte
diese Konzentration des Kapitals durch die verschiedensten
Mittel. Zwangskartellierungen, Zusammenschlüsse unter »Wehrwirtschaftsführern«,
Organisation von »Reichsvereinigungen« und »Gauwirtschaftskammern«
führten zur höchsten Form von Fusion zwischen Monopolkapital
und faschistischem Staat. Die Reichsvereinigung Eisen und Stahl
wurde vom Großkapitalisten Röchling geführt; die
Reichsvereinigung Kunstfasern von Dr. Vits von den Vereinigten
Glanzstoffwerken. Dasselbe galt für die »Reichsgruppen« und
»Hauptlausschüsse«. An der Spitze von 8 (von insgesamt 15)
dieser Ausschüsse standen Direktvertreter der Großkonzerne
(Mannesmann, August Thyssen Hütte, Deutsche Waffen- und
Munitionsfabriken, Henschel-Flugzeugwerke, Auto-Union, Siemens,
Weiss & Freytag und Hommelwerke)(41).
Gerade auf
Grund dieser einwandfrei feststellbaren Entwicklung, die nicht
nur dem demagogischen Programm der Nazis, sondern auch ihrem »politischen
Sonderinteresse« (der Konservierung einer breiten Massenbasis
in Mittelstand, Kleinbürgertum und Kleinbetrieb) direkt
widersprach, ist unverständlich, wie Tim Mason zu dem Schluß
kommen kann, der industrielle Machtblock habe sich im
faschistischen Deutschland nach 1936 »zersetzt« die
wirtschaftspolitische Macht der Industrie sei »zersplittert«,
ȟbrig blieben allein die primitivsten (!), kurzfristigsten
Interessen einer jeden Firma«; »das kollektive Interesse die
kapitalistischen Wirtschaftssystems löste sich 1936 bis 1939
schrittweise in eine reine Anhäufung von Firmenegoismen auf«(50).
Mason vertritt die naiv-formale Ansicht, das »kollektive
Interesse des kapitalistischen Wirtschaftssystems« sei hauptsächlich
durch Unternehmerverbände vertreten, während diese ja wie
bekannt im Zeitalter des Monopolkapitalismus, und schon ganz
besonders des Spätkapitalismus, im allgemeinen nur versuchen,
die Interessen der Masse der Mittel- und Kleinunternehmer mit
jenen der Großkonzerne zu versöhnen oder sie gegen diese recht
und schlecht zu verteidigen. Monopolkapitalismus ist nicht »Auflösung«
des Systems in »eine reine Anhäufung von Firmenegoismen«,
sondern immer zunehmende Identifizierung des Systems mit den
Firmenegoismen von einigen Dutzend Großkonzernen, auch auf
Kosten der Masse der Klein- und Mittelbetriebe. Und das ist ja
gerade im faschistischen Deutschland in einem vorher wie nachher
noch nicht wiederholten Ausmaß geschehen.
Ein
ausgezeichnetes Indiz für die tatsächlichen Kräfteverhältnisse
zwischen Monopolkapitalisten und Partei- und Staatsbürokratie
bietet die Bestimmung von Preis- und Gewinnmargen in der Rüstungsindustrie
sowie das Verhältnis zwischen privatem und verstaatlichtem
Sektor der Wirtschaft. Die grundlegende Tendenz war dabei nicht
die der Verstaatlichung, sondern die der Reprivatisierung(51),
nicht der Primat irgendeiner »politischen Führung«, sondern
der Primat der Surplusprofite der Großkonzerne(52).
Inmitten des
Krieges, als man von Fanatikern der »totalen Kriegsführung« völlige
Rücksichtslosigkeit gegenüber irgendwelchen Privatinteressen hätte
erwarten können, ereigneten sich zwei Zwischenfälle im
Zusammenhang mit dem Flick-Konzern, die an Deutlichkeit
hinsichtlich der vorherrschenden Produktionsverhältnisse nichts
zu wünschen übrig lassen. Am 4. Mai 1940 verhandelte dieser
Konzern mit einem staatlichen Beauftragten über die Herstellung
von Panzergranaten. Ministerialbeamte hatten berechnet, daß -
unter Einbeziehung eines »gerechten Profits« - Flick pro
Granate 24.‑ RM erhalten sollte. Der Konzern forderte
jedoch 39,25 RM pro Granate. Man einigte sich schließlich auf
37.‑ RM: ein Extragewinn von 13 RM pro Granate, d.h. mehr
als 35% oder über eine Million RM Extragewinne für alle bis
Ende 1943 fabrizierten Granaten. Man sieht, daß der Unterschied
zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg nicht so bedeutend
ist: in beiden Fällen glaubten die Landser, für das Vaterland
zu sterben, und in beiden Fällen starben sie für Extraprofite
der Konzernherren.
Noch »schöner«
ist das zweite Beispiel: Die Wehrmacht hatte verschiedene eigene
Betriebe mit dem Kapital der öffentlichen Hand errichtet. Diese
Betriebe wurden meist gegen eine staatliche Gewinnbeteiligung
von 30 bis 35% an die Konzerne verpachtet. Im Jahre 1942 drängte
der Flick-Konzern auf Übernahme der Maschinenfabrik Donauwörth-GmbH.
Am 31. März betrug ihr Anschaffungswert 9,8 Millionen, der
Buchwert jedoch nur 3,6 Millionen. Der Konzern erhielt das mit
modernsten Maschinen ausgerüstete Werk für den Buchpreis.
Klaus Drobisch schätzt den Profit in diesem Fall auf mehr als 8
Millionen RM(51).
Hier entdeckt
man, wenn die politische Hülle abgedeckt wird, den realen Kern
der Klassenherrschaft. Hätte der Nazistaat systematisch
Munitionsbetriebe verstaatlicht, hätte er die Gewinnspannen auf
5 oder 6% herabgesetzt, hätte er darauf bestanden, daß z.B.
mehr als die Hälfte der Mitglieder der Aufsichtsräte der für
den Krieg arbeitenden Konzerne aus direkten Staats- und
Wehrmachtsvertretern bestehen sollten - alles Forderungen die
man berechtigterweise aus den Bedürfnissen einer wirksameren
Kriegsführung hätte ableiten können -, dann wäre die Frage
nach dem Klassencharakter dieses Staates wenigstens zum Teil
berechtigt gewesen. Die Daten jedoch zeigen eindeutig ein
umgekehrtes Bild: brutale Unterordnung aller Interessen unter
jene der Großkonzerne. Auch die im Interesse dieser Konzerne
durchgeführte, barbarische Kriegsführung mußte dort Halt
machen, wo es um das A und O der Kapitalakkumulation ging.
Empirische
Daten sprechen auch eine deutliche Sprache in bezug auf die
Etappen, die vom Durchbruch der Hitler-Bewegung in den
Reichstagswahlen des Jahres 1930 zur Machtergreifung vom 30.
Januar 1933 geführt haben. Wir wissen, wie eine massive
Finanzierung der Nazis durch bestimmte - noch recht begrenzte -
Kreise des Großkapitals einsetzte, welches Zögern und welche
Meinungsverschiedenheiten es in den Kreisen des Großkapitals
und der Großgrundbesitzer in ihrer Haltung gegenüber Hitler
und der NSDAP gab, wie dieses Zögern u.a. durch das
va-banque-Spiel des Diktator-Kandidaten gesteigert, aber durch
die Passivität und Ratlosigkeit der Arbeiterbewegung gemindert
wurde; wie sich das von der Großindustrie bereits im Jahre 1931
aufgestellte, in Richtung auf einen autoritären Staat, massiven
Lohnabbau und eine Revision des Versailler Vertrages um jeden
Preis zielende Programm(54) mit dem Machtantritt Hitlers verknüpfte,
als der zukünftige Führer seinen linksplebejischen Flügel zur
Seite schob und den Konzernherren alle erforderlichen Garantien
zur Verteidigung des Privateigentums und der Anwendung des »Führerprinzips«
auf die Betriebe - u.a. in seiner Rede im Industrieklub vom 27.
Januar 1932 - lieferte; wie sich die Allianz von Großindustrie
und NSDAP krisenhaft, u.a. über den Umweg der Wahlniederlage
der NSDAP im November 1932 und der großen Geldnot, die darauf
folgte, herstellte, und wie schließlich nach dem
Osthilfeskandal die Zusammenkunft vom 4. Januar 1933 bei Baron
von Schröder in Köln das Schicks der Weimarer Republik
besiegelte(55). Wenn wir Trotzkis Analyse in den Jahren 1930 bis
1933 verfolgen, so können wir nur feststellen, daß das heute
vorhandene Material diese Analyse in allen Punkten bestätigt.
Somit bleibt
ein letzter und nicht unbedeutender Faktor. Wie stand es um die
Möglichkeit, den Aufmarsch des Nationalsozialismus durch eine
Aktionseinheit der Arbeiterklasse aufzuhalten? Wie stand es um
die Möglichkeit dieser Aktionseinheit selbst? Obwohl hier das
Material natürlicherweise fragmentarischer ist als auf dem
Gebiet der Wirtschaftsverfassung oder der Haltung einer kleinen
Gruppe von Konzernherren, so muß doch die Fülle der Zeugnisse
beeindrucken, die andeuten, daß sowohl unter
sozialdemokratischen wie unter kommunistischen Arbeitern und
unteren Funktionären der Wunsch nach einer gemeinsamen Aktion
gegen Hitler sehr groß war. Reminiszenzen flammen aus der Masse
der Memoirenliteratur auf - wie das Reichsbanner seine Stafetten
zur »Führung« schickte - dieses Wort wurde wohl nie so
verdinglicht gebraucht wie in diesem Zusammenhang! -, um zum
Kampf aufzufordern, und die irrsinnige Antwort erhielt, man dürfe
kein Arbeiterblut vergießen (als ob Hitlers Sieg Arbeiterblut
nicht in Strömen hätte fließen lassen, wie Trotzki es
voraussagte); wie sich die lokalen Ansätze, noch in letzter
Stunde zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten eine gemeinsame
Kampflinie zu finden, mehrten; wie ohnmächtig die Führungen
von der Machtergreifung zum Reichstagsbrand und von dieser
Provokation zum Ermächtigungsgesetz taumelten, ohne auch nur
den geringsten strategischen Plan zur Abwehr und zur
Selbstverteidigung der Arbeiterbewegung zu verfolgen(56). Diese
gespensterhaft wirkende, oft von schlechtem Gewissen
durchdrungene Literatur liest sich wie eine bittere Anklage
gegen die damalige SPD-, KPD- und ADGB-Führung, auch wenn sie
im Zeichen der Selbstrechtfertigung verfaßt wurde. Nie zuvor in
der modernen Geschichte haben so Viele für die Fehler so
Weniger so teuer zahlen müssen.
VI
Trotzkis
Faschismustheorie ist jedoch nicht nur ein unerbittliches
Anklagedokument im Rahmen der Vergangenheit. Auf die Gegenwart
und Zukunft schauend ist sie eine Warnung vor neuen
theoretischen Fehlern und vor neuen Gefahren.
Das Spezifische
des Faschismus kann nur im Rahmen des imperialistischen
Monopolkapitalismus erfaßt werden. Es ist absurd, irgendwelche
autoritären Bewegungen in halbkolonialen Ländern »faschistisch«
zu nennen, nur weil sie einem Führer Gefolgschaft schwören
oder ihre Anhänger in eine Uniform stecken. Ist in einem Land
der wichtigste Teil des Kapitals in ausländischem Besitz, und
ist das Geschick der Nation durch diese Herrschaft des ausländischen
Imperialismus bestimmt, so kann keine Rede davon sein, eine
Bewegung der nationalen Bourgeoisie, die sich von dieser
Beherrschung im eigenen Interesse zu befreien sucht,
faschistisch zu nennen. Sie kann mit dem Faschismus einige
oberflächliche Merkmale gemeinsam haben: den extremen
Nationalismus, den Führerkult, manchmal sogar auch den
Antisemitismus. Wie der Faschismus mag sie ihre Massenbasis im
deklassierten und verarmten Kleinbürgertum finden. Aber der
entscheidende sozial- und wirtschaftspolitische Unterschied zum
Faschismus tritt sofort zutage, wenn man ihre Haltung gegenüber
den beiden entscheidenden Klassen der modernen Gesellschaft
untersucht: dem Großkapital und der Arbeiterklasse.
Der Faschismus
konsolidiert die Herrschaft des ersteren und verschafft ihm
wirtschaftlich höchste Gewinne; er atomisiert die
Arbeiterklasse und zerschlägt ihre Organisationen. Dagegen
werden die fälschlich als faschistisch verketzerten
nationalistischen Bewegungen der nationalen Bourgeoisie
halbkolonialer Länder dem - vorwiegend ausländischen - Großkapital
manch ernste und dauerhafte Schläge zufügen und der
Arbeiterschaft neue Organisationsmöglichkeiten schaffen. Das
beste Beispiel dafür ist die peronistische Bewegung
Argentiniens, die, weit davon entfernt, die Arbeiterklasse zu
atomisieren, zum ersten Mal allgemeine Massengewerkschaften der
Fabrikarbeiterschaft zum Durchbruch kommen ließ, die bis zum
heutigen Tage das Geschick des Landes bedeutend beeinflußt
haben.
Gewiß ist die
Manövrierfähigkeit dieser sogenannten »nationalen Bourgeoisie«
zwischen ausländischem Imperialismus und einheimischer
Massenbewegung historisch-gesellschaftlich beschränkt, und sie
wird dauernd zwischen diesen beiden Hauptpolen hin und her
schwanken. Gewiß wird sie ihr Klasseninteresse letzten Endes zu
einem Bündnis mit dem Imperialismus führen, den sie ja durch
Massendruck nur um einen höheren Anteil am Gesamtwert erpressen
will, während ein zu starker Aufschwung der Massenbewegung ihre
Klassenherrschaft selbst bedroht. Gewiß kann sich eine solche
Wendung gegen die Massen in blutiger, faschismusartiger
Repression äußern, wie etwa diejenige der indonesischen Generäle
nach dem Oktober 1965. Der grundsätzliche Unterschied zwischen
beiden Prozessen - hier Faschismus in den imperialistischen
Metropolen, dort schlimmstenfalls zeitweilige Militärdiktaturen
in halbkolonialen Ländern der Dritten Welt - sollte aber so
deutlich erkannt werden, daß sich jede Begriffsverwirrung
vermeiden läßt.
Im selben Sinne
sollte man es auch vermeiden, die heute im Westen immer
deutlicher zutage tretende Tendenz zum »starken Staat« mit
einer Tendenz zur »schleichenden« oder sogar zur »offenen
Faschisierung« zu verwechseln. Die Ausgangsbasis des Faschismus
ist, wie immer wieder unterstrichen werden muß, ein desperates
und verarmtes Kleinbürgertum. Nach einem zwanzigjährigen »langen
Zyklus mit expansivern Grundton« gibt es ein solches desperates
Kleinbürgertum in kaum einem bedeutenden imperialistischen
Lande des Westens. Höchstens marginale Schichten des Bauerntums
sind von einer Verarmungstendenz betroffen, aber auch diese
Schichten, denen keinerlei bedeutendes Gewicht in der Gesamtbevölkerung
zukommt, fanden bisher relativ leicht einen neuen Arbeitsplatz
in Handel, Dienstleistungsgewerbe oder Industrie. Es vollzieht
sich hier der umgekehrte Prozeß wie in den Jahren 1918 bis
1933. Damals wurden die Mittelschichten pauperisiert, aber nicht
proletarisiert; heute werden sie proletarisiert, doch nicht
pauperisiert.
Unter
Bedingungen eines vorwiegend wohlhabenden und konservativen
Kleinbürgertums fehlt einem Neofaschismus jede objektive Möglichkeit,
sich eine breite Massenbasis zu erobern. Satte Besitzbürger
schlagen sich nicht mit revolutionären Arbeitern oder radikalen
Studenten auf der Straße. Sie ziehen es vor, an die Polizei zu
appellieren und ihr bessere Waffen zur »Bekämpfung von Unruhen«
zu verschaffen. Und darin liegt gerade der Unterschied zwischen
dem Massen desperater Kleinbürger organisierenden und mit ihnen
ganze Industriereviere und Großstädte terrorisierenden
Faschismus und dem autoritären »starken Staat«, der wohl
Gewalt und Repression einsetzen und der Arbeiterbewegung oder
radikalen Gruppen schwere Schläge versetzen kann, der jedoch
unfähig ist, die Arbeiterorganisationen zu vernichten und die
Arbeiterklasse zu atomisieren. Ein auch nur oberflächlicher
Vergleich zwischen der Entwicklung in Deutschland nach. 1933 und
jener in Frankreich nach der Errichtung des »starken Staates«
im Jahre 1958 läßt diesen Unterschied besonders deutlich
erkennen. In Spanien kann der Vergleich zwischen der
faschistischen Diktatur in den Jahren 1939 bis 1945 und dem
dekadenten »starken Staat« von heute, der trotz zuweilen schärfster
Repression durch den Polizei- und Militärapparat völlig unfähig
ist, eine aufsteigende Massenbewegung zu unterdrücken, nur zu
demselben Schluß führen.
Damit eine
neue, unmittelbare Gefahr des Faschismus in den
imperialistischen Staaten des Westens aufkommen könnte, müßte
sich die Wirtschaftsentwicklung entscheidend ändern. Dies ist für
die Zukunft keineswegs ausgeschlossen, ja sogar wahrscheinlich.
Aber solange dies nicht der Fall ist, sollte man, statt sich von
einer noch nicht vorhandenen Gefahr faszinieren zu lassen,
weniger über Neofaschismus schreien und dem systematischen
Kampf gegen die sehr konkrete und reale Tendenz des Großbürgertums
zum »starken Staat«, d.h. zur systematischen Einengung der
demokratischen Rechte der Lohnabhängigen (über
Notstandsgesetze, Antistreikgesetze, »Konzertierte Aktionen«
mit der Zwangsjacke von Orientierungsdaten«, Geld- und
Freiheitsstrafen für »wilde Streiks«, Begrenzung des
Demonstrationsrechts, staatliche und kapitalistische
Manipulation der Massenmedien, Wiedereinführung der
Vorbeugehaft usw.) mehr Aufmerksamkeit schenken. Das Körnchen
Wahrheit, das in der These der »schleichenden Faschisierung«
steckt, bezieht sich auf die Gefahr, daß durch eine passive und
entpolitisierte Hinnahme dieser Anschläge auf demokratische
Elementarrechte der Appetit der Herrschenden auf schwerere
Angriffe nur gereizt werden kann. Läßt sich die
Arbeiterbewegung widerstandslos am Gängelband ziehen und
schrittweise entmachten, dann könnte bei der ersten scharfen
Wende der Wirtschaftslage dem ersten Abenteurer der Einfall
kommen, sie wiederum radikal zu zerschlagen. Der nicht in zähem
Kleinkrieg jahrelang vorbereitete Widerstand wird bestimmt nicht
»in letzter Stunde« wie ein Wunder vom Himmel fallen.
Aber gerade
weil heute die Hauptaufgabe nicht im Kampf gegen einen noch
beinahe ohnmächtigen Neofaschismus, sondern im Kampf gegen den
sehr bedrohlichen »starken Staat« liegt, wäre es
unangebracht, Begriffsverwirrungen einzuführen. Wenn man diese
ersten Scharmützel bereits für den Anfang der
Entscheidungsschlacht erklärt und den Eindruck entstehen läßt,
der Faschismus (ob »schleichend« oder »offen«) sei mit der
immerhin noch ziemlich harmlos wirkenden Pariser CRS oder den
Westberliner Polizeischlägern identisch, schläfert man die
Wachsamkeit der Massen vor der entsetzlichen Gefahr, die
ein mit der viel weiter fortgeschrittenen Technik bewaffneter
Faschismus heute darstellen würde, ein und begeht denselben,
verhängnisvollen Fehler der KPD-Führer von 1930 bis 1933, die
nacheinander Brüning, Papen, Schleicher und Hugenberg als Verkörperung
des Faschismus darstellten, was wiederum die Werktätigen nur zu
dein Schluß führen konnte, »das Ganze sei halb so wild«.
Die Keime
dieses potentiellen neuen Faschismus liegen in den in mehreren
imperialistischen Ländern bewußt erzeugten Bazillenherden der
fremdenfeindlichen und rassistischen Mentalität (gegen die
Schwarzen, gegen die Farbigen, gegen die Gastarbeiter, gegen die
Araber, usw.), in der wachsenden Gleichgültigkeit gegenüber
politischen Morden in einem Land wie den USA(57), in den
irrationalen Ressentiments gegen eine tendenziell immer stärker
zutage tretende »ungünstige Entwicklung« der Weltpolitik, in
einem nicht weniger irrationalen Haß gegen radikale,
nonkonforme Minderheiten (»Man müßte Euch alle vergasen«
wurde SDS-Demonstranten viele Male in der Bundesrepublik und
Westberlin zugerufen, »Ihr gehört ins KZ« ist ein übliches
Schimpfwort »ordnungsliebender Bürger« gegenüber radikalen
Demonstranten in der Bundesrepublik und in den USA). Es ist eine
tragische Verblendung, daß sich ein sonst kluger, liberaler
Hochschullehrer wie Jürgen Habermas zur Verwendung des
Schlagworts »Linksfaschismus« gegen die radikalen Studenten,
d.h. gegen die ersten potentiellen Opfer eines späteren
faschistischen Terrors hinreißen läßt, wo doch gestern wie
heute der wirkliche Nährboden des Faschismus nicht bei
nonkonformistischen Minderheiten sondern bei den »Anständig,
anständig, Ehre, Treue« stotternden, gegen diese Studenten
aufgebrachten Spießern zu suchen ist.
Es ist
keineswegs auszuschließen, daß im Falle einer Erschütterung
der kapitalistischen Weltwirtschaft - die nicht notwendigerweise
die Form einer, beim Umfang des heutigen Staatshaushaltes
unwahrscheinlichen, Weltwirtschaftskrise von der Schärfe jener
der Jahre 1929 bis 1933 annehmen muß - diese in ganz Westeuropa
vorhandenen Keime sprunghaft neue faschistische Epidemien
entstehen lassen. Aber manches deutet darauf hin, daß diese
Gefahr in den USA viel stärker als in Europa vorhanden sein dürfte.
Das europäische Großbürgertum hat sich schon einmal tüchtig
die Finger an einem faschistischen Experiment verbrannt. In
einigen Teilen des Kontinents verlor es dadurch Kopf und Kragen,
in anderen konnte es nur in letzter Minute seine
Klassenherrschaft retten. Es wird sich umso weniger zu einer
Wiederholung des Abenteuers verleiten lassen, als auch in den
Volksmassen die Erfahrung tiefe Spuren hinterlassen hat, und die
plötzlich aufkommende Gefahr eines neuerlichen Faschismus zu
den schärfsten Reaktionen führen muß.
Ein günstiges
Omen stellt in diesem Sinne die Entwicklung der westeuropäischen
Studentenschaft dar. Diese war seit Beginn des Jahrhunderts die
geistige Brutstätte des Faschismus. Aus ihr rekrutierte sich
der erste Kader der faschistischen Banden. Sie stellte die
organisierten Streikbrecher der zwanziger Jahre, nicht nur in
Deutschland, sondern auch in Großbritannien während des
Generalstreiks des Jahres 1926. Lange bevor Hitler in die
Reichskanzlei einzog, hatte er die Herrschaft über die
Hochschulen erobert. Und als die französische Volksfront die
Wahlen von 1936 gewann, beherrschten die halbfaschistischen
Camelots du Roi weiterhin das Quartier Latin.
Heute hat sich
das Bild radikal gewandelt. In allen westeuropäischen Ländern
geht der Haupttrend der Studenten nach links und extrem links,
und nicht nach extrem rechts. Nicht Streikbrecher, sondern
Streikposten werden unter den Studenten rekrutiert, und diese
wenden sich an die Betriebe, nicht um den Unternehmern zu
helfen, »Ruhe und Ordnung wiederherzustellen«, sondern um die
Lohnabhängigen dazu zu bringen, die spätkapitalistische »Ordnung«
viel radikaler in Frage zu stellen, als dies ihre traditionellen
Massenorganisationen selbst tun. Es ist unwahrscheinlich, daß
sich dieser Trend in den kommenden Jahren jäh ändern wird. War
der Faschismus nach dem Ersten Weltkrieg vor allem ein Aufstand
der Jugend, so gibt es heute kaum Anzeichen dafür, daß die
Jugend irgendwo in Westeuropa in ihrer Masse durch rechtsextreme
Losungen verführt werden könnte.
Die nächste
Welle in Europa wird nach links und extrem links gehen - das
zeigt der Seismograph der Jugend an, die der Massenbewegung um
einige Jahre vorauseilt. Und dafür waren die Maiereignisse in
Frankreich 1968 nur ein Auftakt. Erst wenn diese Welle erfolglos
zurückfluten würde und die Enttäuschung der jungen Generation
mit einer Erschütterung der Wirtschaft zusammenfiele, hätte
der Faschismus abermals gewisse Chancen.
Auch in den USA
dürfte die gleiche dialektische Bewegung zu erwarten sein, die
wir seit 1918 immer wieder erlebt haben. Bei der Erschütterung
der spätkapitalistischen Gesellschaft schlägt das Pendel immer
erst nach links aus, und nur, wenn die Arbeiterbewegung versagt,
hat die Rechte ihre Chance. Aber die amerikanische Großbourgeoisie
ist weniger erfahren und deshalb brutaler als die westeuropäische,
denn sie hat bisher kaum schwer unter eingegangenen Risiken
gelitten, hat deshalb weniger Instinkt für die natürlichen
Grenzen der va-banque-Politik, und besitzt in der unpolitischen
Tradition breiter Teile der amerikanischen Bevölkerung ein
Reservoir an rechtsextremem Konservatismus, der bei einem
Umschlag der Wirtschaftslage und einer verpaßten Chance der
radikalen Linken, das Geschick des Landes in sozialistischem
Sinne umzugestalten, einem faschistischen Abenteuer größere
Erfolgschancen bieten würde als in Europa. Die wachsende
Gewalttätigkeit, die explosive Rassenfrage, das rücksichtslose
Draufgängertum mancher imperialistischer Kreise lassen das
Profil faschistoider Trends deutlicher jenseits als diesseits
des Atlantiks erkennen(58).
Die fürchterliche
Gefahr, die ein solcher Faschismus nicht nur für das
Fortbestehen der menschlichen Kultur, sondern für die physische
Existenz der Menschheit überhaupt darstellen würde, braucht
nicht näher erläutert zu werden. Man stelle sich vor, was im
Jahre 1944 geschehen wäre, wenn Hitler über ein Arsenal von
Kernwaffen verfügt hätte, das jenem der USA ähnlich gewesen wäre.
»Rather dead than red« - »lieber tot als rot« - sagen schon
heute die rechtsradikalen Anhänger der John Birch Society und
der Minutemen. Wenn in der Endphase eines
Verzweiflungskampfes für die Rettung »ihrer«
monopolkapitalistischen Gesellschaft die in der übrigen Welt
bereits besiegten Großkonzerne die politische Macht in den USA
irrationalen Gewalttätern ausliefern könnten, würde dies der
gesamten Menschheit zum Verhängnis werden. Zu Ende der
zwanziger oder anfangs der dreißiger Jahre konnten revolutionäre
Marxisten die Warnung äußern, der Kampf gegen den Faschismus,
für eine sozialistische Lösung der europäischen Krise, sei
ein Kampf für oder wider eine auf unserem Erdteil
aufmarschierende Barbarei. In den kommenden Jahrzehnten dürfte
der Kampf um ein sozialistisches Amerika einem Kampf um Leben
und Tod der gesamten Menschheit gleichkommen.
Deshalb haben
die scharfen Analysen und die Kassandrarufe Trotzkis so aktuelle
Bedeutung. Denn so lange der Monopolkapitalismus fortbesteht, könnte
dieselbe Gefahr in noch schrecklicherer Form und mit noch
unmenschlicherer Barbarei wiederkehren. Wir sagten zu Beginn,
man werde beim Lesen dieses Buches durch die analytische
Leistung Trotzkis gefesselt. Stärker noch als diese Bewunderung
ist aber beim Studium dieser Schriften das Aufwallen der Empörung
und des Zorns. Wie leicht wäre es gewesen, auf Trotzkis Mahnung
zu hören und das Unheil zu vermeiden. Das sollte uns die große
Lehre sein: das Übel zu erkennen, um es zeitig und erfolgreich
bekämpfen zu können. Die deutsche Katastrophe darf sich nicht
wiederholen. Und sie wird sich nicht wiederholen.
30. Januar 1969
Anmerkungen:
1 Die »unbewilligte
Vergangenheit« steht im Zusammenhang mit der Tatsache, daß die
gesellschaftlichen Verhältnisse, die die Machtergreifung des
Faschismus ermöglichten, in der BRD noch immer vorhanden sind.
Es ist also unmöglich, den Wurzeln der faschistischen Barbarei
auf den Grund zu gehen, ohne diesen Kausalzusammenhang bloßzustellen.
Und insofern die restaurierte Herrschaft des westdeutschen
Kapitals eine Klassenherrschaft darstellt, ist es kaum denkbar,
daß diese Entlarvung Hoch- und Mittelschulunterricht
beherrschen würde. Da man die Vergangenheit nicht erschöpfend
erklären kann (oder will), kann man sie auch nicht »bewältigen«.
- Wolfgang Fritz Haug u.a. haben in dem Aufsatz »Ideologische
Komponenten in den Theorien über den Faschismus« überzeugend
nachgewiesen, wie der Versuch einer massenpsychologischen Erklärung
des Faschismusphänomens dazu führt, zu behaupten, »der
Anspruch der Massen auf das traditionelle Privileg der
Besitzenden: Aufgeklärtheit und irdisches Glück, habe die
totalitären Tendenzen entbunden«. Er kommt so richtig zu dem
Schluß, daß diese apologetische Theorie »das unterdrückte
Triebleben und die gesellschaftlich unterdrückten Schwächeren
für die Unterdrückung verantwortlich (macht), die es so
rehabilitiert« (»Das Argument«, Nr. 33, Mai 1965). Im selben
Heft findet sich eine gute (unvollständige) Bibliographie zur
Faschismustheorie.
2 Vgl. die jüngsten
Neuerscheinungen auf diesem Gebiet, wie Ernst Noltes mehr als
500seitiges Werk »Theorien über den Faschismus«, Köln-Berlin
(Kiepenheuer & Witsch) 1967; Wolfgang Abendroth, »Faschismus
und Kapitalismus«, Frankfurt (Europäische Verlagsanstalt)
1967: eine Sammlung von Texten von A. Thalheimer, O. Bauer, H.
Marcuse, A. Rosenberg und Angelo Tasca über das Wesen des
Faschismus; »International Fascism«, New York (Harper
Torchbooks) 1966: eine Sammlung von Aufsätzen über den
Faschismus; u.a.
3 Einen, guten
überblick Ober die sogenannte »Totalitarismustheorie« bietet
der Sammelband »Wege der Totalitarismus-Forschung«, hg. von
Bruno Seidel und Siegfried Jenkner, Darmstadt (Wiss. Buchges.)
1968, vor allem die Aufsätze von Hannah Arendt, A. R. L.
Gurland und Zbigniew Brzezinski. ‑ Es wäre interessant,
die auf- und absteigenden Wogen der Popularität dieser Theorie
im Westen mit den auf- und absteigenden Wellen des Kalten
Krieges zu vergleichen. Man wäre durch die sofort sichtbare
Korrelation nicht nur auf lange Sicht, sondern in eng
konjunkturellem Ausmaß (etwa vom Ostberliner Mauerbau bis zur
Kuba-Krise von 1962 als konjunkturellem Aufschwung) überrascht.
Die in entgegengesetztem Sinne wirkende »Konvergenztheorie« wäre
einer ähnlichen Untersuchung zu unterwerfen.
4 Die
Auswirkungen der Hitlerschen Machtergreifung auf die
Stabilisierung der Stalinherrschaft in der UdSSR und die
extremsten Formen der bürokratischen Entartung dieses
Staatsgebildes, die langfristigen Auswirkungen der
Wechselwirkung Faschismus-Stalinismus auf die Entwicklung der
westdeutschen Arbeiterbewegung und auf die Bedingungen, unter
denen der Aufbau des Sozialismus nach dem Zweiten Weltkrieg in
Osteuropa begonnen werden mußte, müßten in diese Bilanz mit
einbezogen werden.
5 Siehe z.B.
die Diskussion zwischen Tim Mason und Eberhard Czichon in den
Heften Nr. 41 und 47 der Berliner Zeitschrift »Das Argument«
(Dez. 1966 und Juli 1968). Leider begehen mechanistische
Marxisten parallele Fehler. Wir kommen darauf im weiteren noch
zurück.
6
Siehe Arthur Schweitzer, Big Business in the Third Reich,
Bloomington (Indiana University Press) 1964. Tim
Mason (a.a.O.) stützt sich auf dasselbe Konzept, das u.a. von
Czichon, Dietrich Eichholz und Kurt Gossweiler scharf zurückgewiesen
wird. Ein typisches Beispiel des bürgerlichen Versuchs, den
Nazistaat als rein politisches Machtgebilde (bei völliger
Unterordnung der entmachteten« Wirtschaft) hinzustellen, gibt
David Schoenbaum, Die braune Revolution, Köln (Kiepenheuer u.
Witsch) 1968
7
Siehe dazu Franz Neumann, Behemoth - The Structure and Practice
of National Socialism 1933‑1944, New York (Octagon Books,
Inc.) 1963.
8 Über
die ökonomischen Triebkräfte des Militarismus im Zeitalter des
Imperialismus bleibt das letzte Kapitel von Rosa Luxemburgs »Die
Akkumulation des Kapitals« die klassische Vorstudie. Für
neuere Untersuchungen, vor allem des deutschen und
amerikanischen Imperialismus siehe u.a. Fred J. Cook,
Juggernaut, The Warfare State, Sondernummer der amerikanischen
Zeitschrift »The Nation«, 20. Oktober 1951; das 7. Kapitel des
Buches von Baran-Sweezy, Monopolkapital, Frankfurt (Suhrkamp)
1967; George F. W. Hallgarten, Hitler, Reichswehr und Industrie,
Frankfurt (Europäische Verlagsanstalt) 1955 und die Arbeiten
von Harry Magdoff, erschienen in der Zeitschrift »Monthly
Review«.
9 Siehe
u.a. Georg Thomas, Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft
(1918‑1943/45). Hg. von Wolfgang Birkenfeld, Boppard a.
Rh. (Boldt) 1966.
10 Die
wachsende Entakkumulierung (Zerstörung von Kapital), die eine
sich steigernde Kriegswirtschaft von einem bestimmten Punkt ab
mit sich bringt, haben wir mit dem Begriff »rückläufige
Reproduktion« zu umschreiben versucht (siehe Ernest Mandel,
Marxistische Wirtschaftstheorie, Kapitel 10, Frankfurt Suhrkamp
1968). Beispiele aus Großbritannien und vor allem Japan
ergeben, daß es sich keineswegs um nur für den Faschismus
typische Prozesse handelt. Der »rationale« Kern dieser
Irrationalität liegt darin, daß man imperialistische (wie
alle) Kriege bekanntlich mit dem Ziel führt, sie zu gewinnen,
und daß die in bestimmten Grenzen berechtigte Hoffnung besteht,
man könne alle Kapitalverluste auf Kosten des geschlagenen
Gegners mehr als kompensieren.
11 Ernst
Nolte, a.a.O. S.38, 54, usw.; Leo Trotzki, Porträt des
Nationalsozialismus (Text Nr. 48 in diesem Bande).
12 Ernst
Nolte, a.a.O. S.21.
13
Siehe solche Versuche u.a. bei Prof. René Rémond, La Droite en
France de 1815 à nos jours, Paris 1954 und Jean Plumyène und
Raymond Lasierra, Les fascismes français 1923‑1963, Paris
(Editions Le Seuil) 1963, die diese These für Frankreich
vertreten. In
dem von Walter Laqueur und George L. Mosse herausgegebenen
Sammelband »International Fascism 1920‑1945« vertritt
Eugen Weber eine ähnliche These (S. 105, 123 und passim).
Hingegen arbeitete Daniel Guérin (»Fascism and Big Business«,
New York, Pioneer Publishers) schon 1938 die grundlegend
gemeinsamen Züge des deutschen und italienischen Faschismus -
trotz ihrer nationalen Besonderheiten - heraus.
14 Die
der Machtergreifung und der schrittweisen Ausdehnung
antisemitischer Maßnahmen Hitlers folgenden geringen
Verschiebungen der Eigentumsverhältnisse im Dritten Reich sind
genügender Beweis dafür, wie sehr die These des »jüdischen
Großkapitals« einer Legende entspricht. Dasselbe gilt heute
auch für die USA (siehe u.a. Ferdinand Lundberg, The Rich and
the Super-Rich, New York (Lyle Stuart) 1968, S. 297‑306.
15 Die
ersten diesbezüglichen marxistischen Theorien stammen von Otto
Bauer (»Zwischen zwei Weltkriegen?«, Bratislava (Eugen Prager
Verlag) 1936, S. 136 f.) und Daniel Guérin (»Fascisme et grand
capital«, Paris 1938, S. 27-49 der Ausgabe von 1945, Paris,
Librairie Gallimard).
16 Ernst
Nolte, a.a.0. S.
54.
17
Charles Bettelheim, L'économie allemande sous le nazisme, Paris
(Rivière) 1946, S. 212 f.
18 Man ist
immer wieder über den eigentümlichen Gedächtnisschwund bürgerlicher
Ideologen in bezug auf die jüngere Geschichte der bürgerlichen
Gesellschaft erstaunt. In den zwei Jahrhunderten seit der 1.
industriellen Revolution wechselten die Staatsformen in
Westeuropa zwischen aristokratischer Monarchie, plebiszitärem Cäsarismus,
konservativ-liberalem Parlamentarismus (mit einem auf etwa 10%,
manchmal sogar weniger als 5% der Bevölkerung beschränkten
Wahlrecht) und ausgesprochener Autokratie, je nach dem Land,
dessen politische Entwicklung man studiert. Bürgerliche
Demokratie parlamentarischen Musters mit allgemeinem, gleichem
Wahlrecht für alle ist praktisch überall - mit Ausnahme einer
kurzen Phase während der großen französischen Revolution -
ein Produkt des Kampfes der Arbeiterbewegung und nicht des
liberalen Bürgertums gewesen.
19 »Ökonomische
Macht bedeutet zugleich politische Macht. Die Herrschaft über
die Wirtschaft gibt zugleich die Verfügung über die
Machtmittel der Staatsgewalt. Je stärker die Konzentration in
der wirtschaftlichen Sphäre, desto unumschränkter die
Beherrschung des Staates. Diese straffe Zusammenfassung aller
Machtmittel des Staates erscheint als seine höchste
Machtentfaltung, der Staat als unüberwindliches Instrument der
Aufrechterhaltung der ökonomischen Herrschaft... Das
Finanzkapital in seiner Vollendung bedeutet die höchste Stufe
ökonomischer und politischer Machtvollkommenheit in der Hand
der Kapitaloligarchie. Es vollendet die Diktatur der
Kapitalmagnaten«. Rudolf Hilferding, Das Finanzkapital (verfaßt
im Jahre 1909). Hier zitiert nach der Ausgabe von 1923, Wien
(Verlag der Wiener Volksbuchhandlung) S. 476 f.
20 Dies führte
Hilferding am Ende seines Lebens und am Vorabend seines
tragischen Todes zu dem Trugschluß, Nazi-Deutschland sei keine
kapitalistische Gesellschaft mehr, sondern die Macht gehört
dort einer totalitären Bürokratie, einem Trugschluß, der
zeitlich mit der Burnhamschen These vom »Manager-Zeitalter«
zusammenfällt.
21 Es
handelt sich jedoch immer um eine bestimmte Form von
Demagogie, die nur bestimmte Formen des Kapitalismus
angreift (»Zinsknechtschaft«, Warenhäuser, »raffendes« im
Gegensatz zum »schaffenden« Kapital usw.); Privateigentum als
solches oder Unternehmerherrschaft im Betrieb werden nie in
Frage gestellt.
22 Ist dies
nicht der Fall und behalten die Werktätigen ihre Kampfkraft und
ihren Kampfwillen, so kann der Versuch einer
faschistischen Machtergrei
fung zum Auftakt eines großartigen revolutionären
Aufschwungs werden. In Spanien wurde der faschistische Militärputsch
im Juli 1936 mit einem revolutionären Aufstand der
Arbeiterschaft beantwortet, der in wenigen
Tagen den Faschisten in sämtlichen Großstädten und
Industrierevieren
eine vernichtende militärische Niederlage zufügte und
sie zum Rückzug in die unterentwickelten Agrargebiete des
Landes zwang. Die Tatsache, dass die Faschisten von dort aus -
in mühsamem, beinahe drei Jahre dauernden
Bürgerkrieg - die Macht schließlich doch erobern
konnten, erklärt sich so ,
wohl aus der Einwirkung internationaler Faktoren, wie aus der
verhängnisvollen Rolle der Partei- und Staatsführung der
Linken, die die Werktätigen daran hinderte, die erfolgreich
begonnene sozialistische Revolution
vom Juli 1936 rasch zu beenden und, u.a. durch radikale
Bodenverteilung und Proklamation der Selbständigkeit Marokkos,
Francos letzte Machtbasis
unter rückständigen Bauern und nordafrikanischen Söldnern
zu zersetzen.
23 Siehe
dazu u.a. Daniel Guérin, a.a.O., S. 141‑168.
24 Auf den
Unterschied von Bonapartismus und Faschismus wird weiter unten
noch eingegangen.
25 Schon im »Kommunistischen
Manifest« machen sich Marx und Engels über das liberale
Argument lustig, die Kommunisten gössen nur Wasser auf die Mühlen
der konservativen Reaktion. In der Revolution von 1848 wurde es
unendlich oft wiederholt: wenn nur die bösen »Sozialisten«
nicht gewesen wären, dann hätte sich das
liberal-konstitutionelle Regime überall konsolidiert. Die
Sozialisten jedoch hätten den Bürger verängstigt und in die
Arme der Reaktion zurückgetrieben. In der großen französischen
Revolution benutzten die Konservativen ihrerseits ein ähnliches
Argument gegen die Liberalen: ohne die Exzesse des Konvents und
der »linksradikalen« Verfassung vom Jahre III wäre es nicht
zur Restauration der Monarchie gekommen... Man sieht: es gibt
nichts Neues unter dieser Sonne.
26
Giovanni Zibordi, Der Faschismus als antisozialistische
Koalition, in: Ernst Nolte, Theorien über den Faschismus,
a.a.O., S. 79‑87; hier S. 83.
27
Filippo Turati, Faschismus, Sozialismus und Demokratie, a.a.O.,
S. 143-155; hier S. 147 f.
28
Angelo Tasea, Nascità e Avvento del Fascismo, Turin 1950. Dt.
im Europa-Vlg., Wien 1969.
29 Siehe
u.a. Hendrik de Man, Sozialismus und National-Faschismus,
Potsdam 1931; die Memoiren von Severing (»Mein Lebensweg«,
Band II: »Im Auf und Ab der Politik« (Köln, 1950); die
Memoiren von Otto Braun: »Von Weimar zu Hitler«, New York
(Europa-Verlag) 1940, usw.
30 Otto
Braun entschuldigt seine jämmerliche Kapitulation vor dem
Papenschen Staatsstreich am 20. Juli 1932 mit dem Argument,
angesichts der Wirtschaftszerrüttung und der Millionen von
Arbeitslosen sei ein Generalstreik wie gegen den Kapp-Putsch unmöglich.
Dabei vergißt er, daß auch zur Zeit des Kapp-Putsches die
deutsche Wirtschaft schwer zerrüttet war. Interessanterweise fürchteten
die Unternehmerverbände und die reaktionären Politiker
durchaus den Generalstreik, - entgegen den Behauptungen Otto
Brauns. Auch die offizielle Geschichte der I.G. Metall »Fünfundsiebzig
Jahre Industriegewerkschaft«, Frankfurt (Europäische
Verlagsanstalt) 1966, erklärt ausdrücklich: »Vergeblich
wartete die Arbeiterschaft am 20. Juli 1932 auf ein Signal zum
Handeln« (S. 279). Am unsinnigsten ist Brauns Argument, gegen
die Reichswehr könne ein Arbeiteraufstand nur mit einer
Niederlage enden. Als ob die kampflose Kapitulation nicht einer
weit verheerenderen Niederlage gleichkäme!
31 Siehe
zahlreiche Belege bei Theo Pirker, Komintern und Faschismus
1920-1940, Stuttgart (D.V.A.) 1965. Die Lektüre der offiziellen
Komintern- und KPD-Presse der Periode 1930 bis 1933 bleibt aber
der eindrücklichste Beleg. In seiner Einleitung zur 2. Auflage
von Ossip K. Flechtheims »Die KPD in der Weimarer Republik«,
Frankfurt (Europ. Verlagsanst.) 1969, gibt Hermann Weber eine Übersicht
über die bedeutende Literatur zur KPD-Politik der Jahre
1930-33. Flechtheims Buch enthält auch selbst zahlreiche
Quellen und liefert zahlreiche Belege für Trotzkis These.
32 In der
Theorie vom »Sozialfaschismus« wird die objektive Rolle der
sozialdemokratischen Führung (ohne Zweifel ein Faktor der
Stabilisierung des status quo der spätbürgerlichen
Gesellschaft) gegenüber ihrer Massenbasis und ihrer
spezifischen Form (die das Fortbestehen der
Arbeiterorganisationen impliziert) willkürlich isoliert; in der
Volksfronttheorie wird dagegen der antifaschistische Wille der
Massen und der Zwang der sozialdemokratischen Führung, sich
gegen die Gefahr der Vernichtung durch den Faschismus zur Wehr
zu setzen, ebenso willkürlich vom gesamtgesellschaftlichen
Zusammenhang der Strukturkrise des Spätkapitalismus isoliert.
Im ersten Fall werden die Massen durch Spaltung paralysiert, im
zweiten durch Rücksichtnahme auf den »liberal«-bürgerlichen
Partner der Volksfrontpolitik entscheidend gebremst. Das Pendel
schwingt von der linksopportunistischen zur
rechtsopportunistischen Abweichung, ohne die richtige Position,
jene der Aktionseinheit der Werktätigen (mit einer
objektiv antikapitalistischen Dynamik) je zu erfassen.
33 Noch
spät in den fünfziger Jahren wurde der verzweifelte Versuch
unternommen, sich an der Rechtfertigung der KPD-Politik der
Jahre 1930 bis 1933 festzuklammern. Siehe u.a. das Heft: »Les Origines du Fascisme«, veröffentlicht in der
Reihe »Recherches Internationales à la Lumière du Marxisme«,
Nr. 1, Editions La Nouvelle Critique, Paris 1957.
34 Siehe
Band 4 der »Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung«, Berlin
(Dietz) 1966, S. 168, 171, 206, 239, 188 f., 300-303, 312 usw.
Praktisch gibt die »Geschichte ... « Trotzki in jedem Punkt
der Kritik nachträglich recht ohne seinen Namen ein einziges
Mal in diesem Zusammenhang zu erwähnen.
35
Ernst Nolte, a.a.O., S. 55, 66, usw.; Harold Laski, Réflexions
sur la Révolution de notre Temps, Paris (Le Seuil) 1946, S.
135.
36 Es wäre
interessant, die tieferen Wurzeln dieses Zwangs zu untersuchen.
Er liegt u.E. nicht nur in der Notwendigkeit, die Atomisierung
der Arbeiterklasse durch Massenterror zu gewährleisten, wozu
ein »normaler« Repressionsapparat nicht ausreicht, sondern
auch in der Natur der auf Privateigentum an Produktionsmitteln
errichteten Produktionsweise selbst, der immer ein Element der
Konkurrenz anhaftet, und in der es den direkten Vertretern der
Konzerne nur auf dem Umweg des Feilschens und der gegenseitigen
Aussöhnung widerspruchsvoller Teilinteressen gelingen kann, zum
Gesamtinteresse der Klasse (oder genauer: ihrer entscheidenden
Schicht) vorzustoßen. Soll dieses Gesamtinteresse unmittelbar
und zentralisiert, also ohne lange Besprechungen und schwierige
Verhandlungen sich auswirken, dann muß die Interessenvertretung
des Gesamtinteresses von der gleichzeitigen Verteidigung von
Partikularinteressen getrennt werden, d.h.: dann muß die
Personalunion der Großkonzerne und der politischen Führung
aufgehoben werden. Deshalb die Neigung der bürgerlichen
Gesellschaft zur politischen Selbstentmachtung in Krisenzeiten,
in ihrer stürmischen Jugend ebenso wie in ihrem dekadenten
Alter.
37 Einen
ähnlichen Fehler begeht auch Robert A. Brady in seinem Buch »The
spirit and structure of German fascism«, New York (The Viking
Press) 1937.
38
Ignazio Silone, Der Faschismus - Seine Entstehung und seine
Entwicklung, Europa Verlag, Zürich 1934, S. 32 ff., 46 ff., 52
f., usw.
39
A.a.O., S. 276 ff.
40 August
Thalheimer, über den Faschismus, in: Faschismus und
Kapitalismus; Politische Texte, herausgegeben von Wolfgang
Abendroth, Frankfurt (Europäische Verlagsanstalt) 1967, S.
19-38; Otto Bauer, Zwischen zwei Weltkriegen?, a.a.O., S.
113-141.
41 Dieser
Aspekt wurde auch von Rüdiger Griepenburg und K. H. Tjaden in
»Faschismus und Bonapartismus« (in: »Das Argument«, Heft 41,
8. Jg. Heft 6, Dezember 1966, S. 461-471) unterstrichen.
42
Otto Bauer, a.a.O., S. 113 f.
43
A.a.O. S. 116.
44 Arthur
Rosenberg, Geschichte der Weimarer Republik, Frankfurt (Europäische
Verlagsanstalt) 1961, S. 211.
45
Charles Bettelheim, a.a.O., S. 210.
46 Jürgen
Kuczynski, Die Geschichte der Lage der Arbeiter in Deutschland,
Bd. II: 1933 bis 1946. Berlin (Verlag Die freie Gewerkschaft)
1947, S. 125, 199, 154.
47 Franz
Neumann, a.a.O., S. 43. Unter diesen Bedingungen klingt es
geradezu wie Hohn, wenn Tim Mason zum Beweis des angeblichen »Primats
der Politik« nach dem Jahre 1936 die Tatsache anführt, daß es
die Hitlerregierung zwei Jahre lang, zwischen Herbst 1936 und
Sommer 1938, »unterließ«, die Einschränkung der Freiheit des
Arbeitsplatzwechsels und die Festsetzung von Höchstlöhnen zu
beschließen: »Die beiden Maßnahmen wurden von der politischen
Führung abgelehnt, Weil so radikale Schritte gegen das
materielle Interesse der Arbeiterschaft mit der politischen
Aufgabe, die Arbeiter zum Nationalsozialismus zu erziehen, nicht
zu vereinbaren waren« (Tim Mason, Das Primat der Politik, in:
Das Argument, 8. Jahrgang, Heft 6, Dezember 1966. Nr. 41, S.
485). Wer zuviel beweisen will, beweist, daß er Unrecht hat.
Tim Mason scheint nicht einzusehen, daß das Entscheidende
dieser Affäre nicht etwa die Tatsache war, daß diese Schritte
zwei Jahre lang hinausgeschoben wurden, sondern daß sich
umgekehrt ein zumindest demagogisch auf »Volksgemeinschaft«
eingeschworenes Regime zu einer solchen Teilversklavung der
eigenen Arbeiterschaft - Aufhebung der Freizügigkeit - und
einem solchen »Monopol an Rüstungsprofiten« zugunsten der Großkonzerne
entschloß. Beweist das nicht gerade, daß die Interessen der »politischen
Führung. schließlich vor jenen des Monopolkapitals zurückweichen
mußten, daß es also kein »Primat der Politik«, sondern ein
»Primat des Monopolkapitals« gab?
48
Neumann, a.a.O., S. 613; Bettelheim, a.a.O., S. 63.
49
Neumann, a.a.O., S. 601 f., 591 f.
50
Tim Mason, a.a.O., S. 482 f., 487, 484.
51 Zur
Reprivatisierung siehe u.a. Bettelheim, a.a.O., S. 112; Neumann,
a.a.O., S. 297 f. Über die Gelsenkirchen AG-Affäre, ihre
zentrale Bedeutung bei dem überschwenken breiter Kreise der
Schwerindustrie ins Lager Hitlers und über die Reprivatisierung
der Vereinigten Stahlwerke im Jahre 1936 siehe u.a.: George F.
W. Hallgarten: »Hitler, Reichswehr und Industrie«, S.
108‑113; K. Gossweiler: »Die Vereinigten Stahlwerke und
die Großbanken.«, in: »Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte«,
1965, Teil IV, Akademie-Verlag, Berlin, S. 11-53.
52 Wir möchten
in diesem Zusammenhang nochmals auf das von Tim Mason
aufgeworfene Problem, das Entscheidende sei »die politische
Willensbildung«, und »die Innen- und Außenpolitik der
nationalsozialistischen Staatsführung (sei) ab 1936 in
zunehmendem Maße von der Bestimmung durch die ökonomisch
herrschenden Klassen unabhängig« geworden (a.a.O., S. 474),
zurückkommen. Das entscheidende Wort ist hier »Bestimmung«.
Es wendet sich in Wirklichkeit nicht gegen die marxistische
Staats- und Gesellschaftsinterpretation, sondern nur gegen ihre
mechanische Verflachung. Der Marxismus impliziert, daß es keine
absolute Identität zwischen Oberbau und Unterbau gibt; daß
beide Ebenen ihre eigene, schon durch die Arbeitsteilung
bedingte, innere Logik haben; daß also Klassengesellschaften bis
zu einem gewissen Grade eine Verselbständigung nicht nur
von Religion und Philosophie, sondern auch von Staat und Armee
kennen. Worauf es ankommt ist nicht, zu wissen, ob eine Gruppe
von Bankiers oder Großindustriellen dem Regierungschef oder
Armeeführer seine Beschlüsse unmittelbar »diktiert«, sondern
ob diese Beschlüsse dein Klasseninteresse dieser Großfinanz
oder der Großkonzerne entsprechen und aus der inneren Logik der
Verteidigung der gegebenen Produktionsweise heraus verständlich
werden.
Tim Mason übersieht,
daß Militarismus und Kriege diese Autonomie schon sehr
weitgehend im Rahmen des Monopolkapitalismus, lange bevor die
NSDAP geboten wurde, erlangt hatten. Ja, der ganze Begriff des
»Primats der Politik« ist gerade aus dem Komplex des Ersten
Weltkriegs geboren. »Gewisse Andeutungen«, schrieb Tim Mason,
»sind schon jetzt vorhanden, daß der Angriff auf Polen 1939
und auf Frankreich 1940 keinen unabdingbaren Teil der
Gesamtkonzeption der herrschenden Klasse bildete« (»Primat der
Industrie?« Eine Erwiderung. In: »Das Argument«, Heft 47,
Juli 1968, S. 206). Kann man dasselbe nicht auch von Churchills
Dardanellen-Abenteuer im Ersten Weltkrieg, von Verdun und den
anderen gewaltigen Materialschlachten des Ersten Weltkriegs und
überhaupt von der Auslösung dieses Ersten Weltkriegs
mindestens mit ebenso starker, rückwirkender Kraft behaupten
wie vom Zweiten Weltkrieg?
Wäre es nicht
»im Interesse« des Großkapitals gewesen, sich lieber über
die Gegensätze zwischen serbischen und bosnischen
Schweineexporten oder zwischen deutscher und englischer
Nahost-Penetration zu einigen, als Millionenverluste zu erleiden
und eine sozialistische Revolution heraufzubeschwören? Waren es
nicht Diplomaten, Kaiserkamarilla und vor allem Generalstäbler,
die zwischen den Schüssen von Sarajewo und dem Einmarsch in
Belgien die Entscheidungen trafen, statt der Unternehmerverbände
oder dem Verwaltungsrat der Deutschen Bank? Und sind nicht
Militarismus, imperialistische Gegensätze,
militaristisch-nationalistische Ideologie, Wettrüsten,
Rohstoffarmut Deutschlands usw. unvermeidliche Produkte einer
bestimmten Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur und die
letzten Ursachen des Krieges? Lag ihnen nicht das
Expansionsstreben der Deutschen Bank zugrunde? Und sind die
Kriegsziele nicht eng mit diesem Ursprung des Wettrüstens
verbunden? In diesem Sinne muß man die marxistische These der
monopolkapitalistisch-imperialistischen Natur des Nazisystems
verstehen und nicht in dem eng mechanischen Sinne, daß die
Herren Großbankiers mehr Einfluß auf die unmittelbare Kriegsführung
als das Hauptquartier der Wehrmacht gehabt hätten (was ja auch
im Ersten Weltkrieg keineswegs der Fall war).
Dietrich
Eichholz und Kurt Gossweiler bringen in diesem Zusammenhang ein
schönes Zitat des Mitglieds des Vorstands und des
Zentralausschusses der IG-Farbenindustrie AG, eines Herrn Carl
Krauch, vom 28. April 1939: »Heute wie 1914 erscheint die
deutsche politische und wirtschaftliche Lage - eine von der Welt
belagerte Festung - eine rasche Kriegsentscheidung durch
Vernichtungsschläge gleich zu Beginn der Feindseligkeiten zu
verlangen« (Das Argument, Nr. 47, S. 226). Das war die
herrschende Mentalität der entscheidenden Kreise des
Monopolkapitals. Daß sie nachträglich genau so »irrational«
erscheint wie jene des Wilhelminischen Großbürgertums (und der
vergleichbaren Mentalität zahlreicher anderer imperialistischer
Mächte) beweist nur, daß imperialistische Kriege überhaupt
und der Monopolkapitalismus an sich die »rationalisierte
Irrationalität«, die immanent in der bürgerlichen
Gesellschaft vorhanden ist, bis zur höchsten Potenz steigern.
53 Klaus
Drobisch, Flick-Konzern und faschistischer Staat
1933‑1939, in: Monopole und Staat in Deutschland
1917-1945, Berlin (Akademie-Verlag) 1966, S. 169 f.
54 Hierzu
gibt es viele Quellen. Eine eindrucksvolle Schilderung bringt
George F. W. Hallgarten, a.a.O., S. 104 ff.
55 Auch
hier sind die Quellen besonders zahlreich. Siehe u.a. H. S.
Hegner, Die Reichskanzlei von 1933-1945, Frankfurt (Verlag
Frankfurter Bücher) 1959, S. 33 ff.; Alan Bullock, Hitler, A
Study in Tyranny, Penguin Books 1962, S.196 ff., 243 ff.;
William L. Shirer, Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, Bd. 1,
S- 103-214, München (Knaur Verlag) 1963, gibt eine
Zusammenfassung der wichtigsten Zeugnisse, vor allem das von
Meissner, und eine bedeutende Bibliographie.
56 Vgl.
dazu die diesem Zeitabschnitt gewidmeten Passagen in den
autobiographischen Aufzeichnungen z.B. von M. Buber-Neumann, H.
Brandt, G. Grosz, F. Jung, A. Koestler, S. Leonhard, G. Regler,
J. Valtin.
57 Die
Liste politischer Führer, die in den USA in den letzten Jahren
ermordet wurden, erinnert unheilvoll an die der Weimarer Zeit:
Malcolm X, Martin Luther King, John F. Kennedy, Robert Kennedy,
die beiden Black Panther-Führer von San Francisco sind nur
einige Namen aus einer langen Reihe.
58 Allerdings
muß darauf hingewiesen werden, daß sich in diesem bereits
einsetzenden Polarisierungsprozeß der Aktivismus von rechts in
den letzten Jahren eher im Niedergang befindet und auch in den
USA der politisch aktive Teil der Jugend überwältigend nach
links tendiert. Wie in Westeuropa findet die Konfrontation nicht
zwischen Links- und Rechtsaktivisten, sondern zwischen
Linksaktivisten und Polizei statt. Die relative Prosperität des
amerikanischen Mittelstands und der ihr entsprechende
Konservatismus sind daran natürlich nicht unbeteiligt.
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