Über die
Ursachen des Wiederauflebens von Faschismus und Rassismus in
Deutschland in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg liegt eine
sehr ausführliche Literatur vor (Deutschland wird als
typischstes Beispiel für den Faschismus gewählt, typischer als
der Faschismus in Italien oder Spanien). Wenngleich es
zahlreiche Meinungsunterschiede zwischen Historikern und
Politologen/Soziologen über die Gewichtung der einzelnen
Faktoren gibt, die zur Erklärung der Entstehung des Dritten
Reiches herangezogen werden, so herrscht doch breiter Konsens über
die folgenden kausalen Zusammenhänge:
1. Die Krise
der parlamentarischen Demokratie war eng mit einer schweren
Wirtschaftskrise verbunden, wie z.B. der in Deutschland im
Oktober 1929 ausbrechenden Krise. In einer solchen Zeit sehen
sich Millionen von Menschen damit konfrontiert, daß es keine
Ausweg in "normalen" Verhältnissen für ihre
materielle und moralische Not gibt. Sie sind in einer solchen
Zeit eher als unter den Bedingungen eines größeren Wohlstandes
bereit ihr Heil in "unnormalen" Abenteuern zu suchen.
Massenarbeitslosigkeit, Bankrott von mittelständischen
Unternehmen, starker Rückgang des Lebensstandards der sog.
freien Berufe begünstigen die politische Radikalisierung, im
allgemeinen die von rechts stärker als die von links. Die
Entstehung von breiten Schichten von verzweifelten und sozial
abgestiegenen Randgruppen in der Gesellschaft begünstigt
Aufkommen und Stärkung von Desperado-Organisationen und
Schlägertrupps wie die der klassischen Faschisten. Je länger
die Krise andauert, je mehr das Bewußtsein wächst, daß sie
mit einer "normalen" Regierungsform nicht überwunden
werden kann, umso stärkeren Widerhall findet der Ruf nach einem
"starken Mann", d.h. nach einer Diktatur oder
zumindest nach einem autoritären Regime.
2. In einer
Wirtschaftskrise und (oder) in einer schweren Gesellschaftskrise
wird innerhalb der herrschenden Klasse der Wunsch stärker, den
Umfang der Sozialausgaben zu verringern, die Löhne
einzufrieren, soziale Konflikte auszuschalten, Streiks zu
erschweren oder zu verbieten, die Rechte der Gewerkschaften
einzuschränken usw. als in einer Zeit eines schnellen
Wirtschaftswachstums, das beiden "Sozialpartnern" die
Möglichkeit bietet, ihre Einkommen zu steigern, da sich durch
den "größer werdenden Kuchen" keine
Verteilungsprobleme ergeben. Das erklärt, daß in einer
Wirtschaftskrise mehr Geld des Großkapitals radikal rechten und
auch faschistischen Gruppen zufließt. Das bedeutet nicht, daß
das Bürgertum ausschließlich die äußersten Rechten begünstigt
oder von Anfang an der faschistischen Richtung zuneigt. Es
bedeutet aber durchaus, daß das Bürgertum eine solche "Lösung"
seiner sozio-ökonomischen und politischen Probleme nicht mehr
ausschließt und diese Möglichkeit als eine unter anderen
betrachtet. Das übrige hängt dann von den Machtverhältnissen
und der konkreten politischen Entwicklung ab.
3. Wenn es
einer bestimmten rechtsextremen oder ganz offen faschistischen
Gruppe gelingt, bedingt durch die Wirtschaftskrise und die am
Anfang geringe Unterstützung durch das Großkapital, ein
bestimmtes Niveau an Glaubwürdigkeit, Repräsentativität und
politischem Einfluß (einschließlich Vertretung im Parlament)
zu erreichen, so wird viel Geld aus den Kreisen des Großkapitals
in diese Richtung zu fließen beginnen. Man kann das als eine
Art von "Versicherungsprämie" interpretieren. Man
kann es mit der Hoffnung auf Verwirklichung bestimmter
politischer Pläne in Verbindung setzen. Aber wie diese
Verhaltensweise auch ausgelegt werden mag, sie ist
beispielsweise in Deutschland in den Jahren 1931 und
insbesondere 1932 unzweifelhaft festzustellen. Während ursprünglich
nur einige Ausnahmeerscheinungen unter den Großkapitalisten
(Thyssen, Kirdorf, Reemtsma) die Nazis öffentlich unterstützten
(auch Ford aus den USA), wuchs sich diese Unterstützung zu
einer breiten Finanzierung aus zahlreichen kapitalistischen
Kreisen aus, nachdem Hitlers Partei sich als die wichtigste
Kraft auf der Rechten erwiesen hatte.
4. Eine
faschistische Diktatur kann ohne grünes "Licht" maßgeblicher
Kreise des Großkapitals nicht aufgerichtet und schon gar nicht
gefestigt werden. Das wichtigste Glied in der Kette der
Ereignisse, die zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30.
Januar 1933 führten, war das berüchtigte Treffen bei Bankier
Baron von Schroeder, auf dem Hitler sein Programm (umgeformt, um
den Anwesenden nach dem Mund zu reden - seinen Auffassungen
blieb er aber treu!) in Anwesenheit der führenden Vertreter des
deutschen Großkapitals erläuterte. Die Vermittlerrolle, die
der Herrenclub (Vereinigung der Bankiers, Großindustriellen,
Großgrundbesitzern, hohen Offizieren der Reichswehr) zwischen
Reichspräsident von Hindenburg - der durch seinen in den
Osthilfeskandal, den Hitler totzuschweigen zusagte, verwickelten
Sohn beeinflußt wurde - und den Nazis gespielt hat, ist
ebenfalls allgemein bekannt. Nach Beseitigung der demokratischen
Freiheiten in Deutschland wurde eine "gelenkte
Wirtschaft" eingerichtet, in der in jedem Unternehmen zugunsten
des Unternehmers das Führerprinzip galt, in der die
Unternehmen ausschließlich von Industriellen geführt wurden
(Parteifunktionäre der Nazis spielten dabei keine Rolle), in
der es zu "Zwangszusammenschlüssen" zugunsten der Großunternehmen
kam und in der die kapitalistischen Gewinne steil in die Höhe
gingen. Im Jahr 1938 lagen die Gewinne bei gleicher
Gesamtlohnsumme wie im Jahr 1928 um das Dreifache (Steigerung um
300%!) über den Gewinnen des Vorjahres. Es muß nicht weiter
darauf eingegangen werden, daß auch andere Aspekte der Nazi-Politik
(Wirtschaftsexpansion, dann internationale Aggression) den Wünschen
zumindest eines Teils des Großbürgertums entgegenkamen und daß
die Mehrzahl der Großunternehmen daran stark beteiligt war und
in gewaltigem Maße davon profitiert hat.
5. Der
ideologische Hintergrund der Prozesse, die zur Entstehung eines
faschistischen Regimes fuhren, wird vor allem durch das
Aufkommen eines extremen Nationalismus (bis an die Grenze der
Hysterie), einen zunehmenden Rassismus und einen größeren
Anteil irrationaler, "magischer" und mythischer
Elemente in der Politik bestimmt. D.h. die geringere Sensibilität
des Durchschnittsbürgers gegenüber Gewalt und Unrecht, seine
abnehmende Bereitschaft, dagegen aktiv aufzutreten. In
Deutschland wurde die Entstehung einer solchen ideologischen
Atmosphäre durch den Krieg, den Vertrag von Versailles und die
extremistischen Reaktionen auf den Vertrag gefördert. Diese
Elemente wurden jedoch nur durch die Krise zu einem explosiven
Gemisch. Sie führten dann zum Ausbruch einer wahren Hysterie
und Gewalttätigkeit von Seiten der Nazis und ihrer
Bundesgenossen, zu wachsender Panik, Angst und Passivität bei
der Mehrheit der Mitbürger (mit der rühmlichen Ausnahme von
Aktivisten aus der Arbeiterbewegung, von Katholiken und
kleineren Kreisen humanistisch geprägter Intellektueller und
Jugendlicher). Das Bürgertum hat das zunächst als
"kleineres Übel" toleriert (im Vergleich zum
"marxistischen Klassenkampf", während der Krise), später
stärker daran mitgewirkt. Man darf nicht vergessen, daß die
Ursachen für Nationalismus und Rassismus bereits in der
Kaiserzeit entstanden und u.a. in Äußerungen von Wilhelm II.
und seinen Würdenträgern häufig anklingen (beispielsweise bei
der Abreise des deutschen Expeditionskorps nach Peking:
"Pardon wird nicht gegeben, Gefangene nicht gemacht,
verhaltet Euch so, daß die Chinesen noch in tausend Jahren mit
Schrecken von Euch sprechen, wie wir von den Hunnen")
Der zynische
Bruch mit allen Regeln des Rechtsstaates, die extreme
Verherrlichung von Macht und Realpolitik kam außerdem
zum ersten Mal außerhalb Europas zum Tragen, nämlich gegenüber
kolonialen und halbkolonialen Völkern. Das typisch Neue des
Faschismus ist der Versuch, diesen extremen Bruch mit jeder
humanistischen Moral aus den Ländern der "Dritten
Welt" (wo er auch von "Liberalen" europäischen Bürgern
systematisch unternommen wurde) nach Europa selbst zu übertragen,
um zunächst die deutsche Arbeiterklasse und in der Folge
zahlreiche europäische Völker zu Untertanen ohne Rechte zu
machen, die nur noch dafür gut waren, gehorsame oder sogar
koloniale Sklaven zu sein.
Die heutige
Krise ist (noch?) weniger stark als die von 1929-1933, und wir
stehen so mit am Anfang von Prozessen, wie sie in Deutschland in
der damaligen Zeit abliefen. Die Parallele, die wir zwischen dem
Wiederaufleben von Neofaschismus und Rassismus in der EG in den
letzten Jahren und den Ereignissen in Deutschland in den
zwanziger und am Anfang der dreißiger Jahre ziehen können,
bezieht sich lediglich auf die in den Ziffern 1. und 2.
(teilweise auch in Ziffer 5.) dargestellten Aspekte. Das gilt
insbesondere für Italien und Frankreich, in geringerem Maße für
andere EG-Länder (obwohl Ansätze zu solchen Prozessen in allen
EG-Ländern vorhanden sind). Die Verbindungen zwischen der Loge
P2 und dem darin vertretenen Großkapital einerseits und extrem
rechten Gruppen andererseits (einschließlich Teilen der
konservativ ausgerichteten Parteien, die bereit waren, mit ihnen
zusammenzuarbeiten) wurden in zahlreichen Analysen verdeutlicht.
Man muß kein Anhänger einer Verschwörungstheorie sein, um
festzustellen, daß extrem rechte Ideologien und Absichten in
einer Zeit starker gesellschaftlicher und politischer
Spannungen, die von einer sich verschärfenden Wirtschaftskrise
begleitet werden, wie sie in Italien während der 70er Jahre
herrschte, zumindest bei Teilen des Großbürgertums und führenden
Kreisen von Armee und Politik stärkeren Anklang fand als zuvor.
Auch in Frankreich ist das seit der Wahl von Mitterand ohne
Zweifel der Fall.
Die
organisierte Arbeiterbewegung und überzeugte Antifaschisten -
die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung und der Wähler
der EG - müssen sich der Gefahren bewußt werden und alles
unternehmen, um das Wiederaufleben von Faschismus und Rassismus
im Keim zu ersticken. Kommen wir in eine Phase, wie sie in
Ziffer 3. meiner Analyse dargestellt ist, dann ist die Gefahr
bereits riesengroß. Am Ende des Weges stehen nicht nur der
Verlust der demokratischen Freiheiten, des politischen und
ideologischen Pluralismus, die Zensur, die Verbrennung von Büchern,
die Abschaffung des Streikrechts, die Ausschaltung der
Gewerkschaftsbewegung, am Ende dieses Weges stehen Dachau,
Buchenwald und Auschwitz, die vollständige Negierung von
Menschenrechten und Menschenleben, ungeachtet, welches die
"bevorzugten" Opfer oder Henker auch immer sein mögen.
Das muß mit allen Mitteln verhindert werden, das darf in Europa
nicht zum zweiten Mal geschehen.
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